Wie funktioniert das Patriarchat?

Wie bereits in Sex und Liebe: Der große Unterschied! angesprochen, vertrete ich, dass das größte Problem des sozialen Miteinanders der eurozentrischen/westlichen Gesellschaft und ihrer alternativen Szenen folgendes ist: die Verwechslung von Sex und Liebe. Diese Verwechslung kann mithilfe von unterscheidender Sprache in der Praxis aufgehoben werden.

Doch mit einer Sprachänderung alleine ist es nicht getan: Auf der erwähnten Verwirrung baut nämlich ein ganzes Gesellschaftssystem auf, das alle Lebensbereiche durchzieht – das Patriarchat.

Wikipedia definiert es so:

Patriarchat (wörtlich „Väterherrschaft“) beschreibt in der Soziologie, der Politikwissenschaft und verschiedenen Gesellschaftstheorien ein System von sozialen Beziehungen, maßgebenden Werten, Normen und Verhaltensmustern, das von Vätern und Männern geprägt, kontrolliert und repräsentiert wird.

Nun ergänze ich um ein paar Hintergrundinformationen:

Die Rollen „Frau“ und „Mann“ werden allen Menschen in patriarchalen Gesellschaften von Geburt an anerzogen. Jede Rolle ist eine Sammlung von bestimmten Verhaltensmustern rund um die Auslebung der sexuellen und romantischen Bedürfnisse.

Die Eigenschaften dieser Rollen sind nahezu jedem bekannt:

  • Eine typische Frau ist fürsorglich, geduldig, hört gerne zu, und stellt ihre eigenen Bedürfnisse hintenan. Sie kleidet sich feminin, redet gerne über Gefühle und Mode, und interessiert sich nicht für Technik.
  • Ein typischer Mann gibt den Ton an, ist konkurrenzgeil, erklärt gerne Anderen die Welt, und setzt seine Interessen durch. Er kleidet sich maskulin, redet gerne über Technik oder Sport, und macht ungern Hausarbeit.

Die beschriebenen sozialen Rollen werden gerne mit Geschlechtern gleichgesetzt. Menschen, die diesen Glaubenssatz vertreten, behaupten, es gäbe exakt zwei Geschlechter, die biologisch, genetisch, oder natürlich vorgegeben wären. Diese Denkweise heißt die binäre Geschlechterordnung und ist ein patriarchales Lügenkonstrukt, da es ganz faktisch mehr als zwei Geschlechter gibt, nämlich Menschen, die mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren werden.

Diese erleiden durch die binäre Geschlechterordnung den größten Schaden, da sie bewirkt, dass die Existenz solcher Menschen vertuscht wird, indem diese entweder als männlich oder weiblich ausgegeben werden – je nach dem, was ihrem Körperbau „eher“ entspricht. Dadurch haben sie ein erhöhtes Risiko, bei Erkrankungen keine passende Behandlung zu bekommen, weil von einem typischen Körperbau ausgegangen wird, den sie nicht haben, oder werden sogar zwangsoperiert, um den Vorstellungen von Eltern oder Ärzt_innen zu entsprechen, was bei den Betroffenen oft langfristig körperliche und psychische Probleme verursacht.

In Wahrheit ist hier gar nichts natürlich: Die soziale Rolle wird Menschen je nach ihrem sichtbaren Geschlechtsorgan bei der Geburt zugewiesen:

  • Menschen mit Vulva wird die Rolle „Frau“ zugeordnet: „Es ist ein Mädchen!“
  • Menschen mit Penis wird die Rolle „Mann“ zugeordnet: „Es ist ein Bub!“

Sofort nach der Zuordnung beginnt das gesamte Umfeld des Kindes, es im Sinne der Rolle anzusprechen: „Bist du aber ein liebes Mädchen!“, „Oh, was für ein starker Bub du schon bist!“. Dass kaum jemand kleine Mädchen „stark“ oder kleine Buben „lieb“ findet, obwohl es viele starke Mädchen und viele liebe Buben gibt, ist bereits ein gutes Beispiel für die Ungerechtigkeit, die aus patriarchalen Geschlechterrollen hervorgeht. Dieselbe Ungleichbehandlung passiert als Reaktion auf hunderte andere Verhaltensweisen des Kindes: Wenn sich ein Mädchen und ein Bub in derselben Situation exakt gleich verhalten, wird die Umgebung je nach den Erwartungen der Rolle beim einen loben, beim anderen ignorieren oder ärgerlich werden.

Da Kinder hauptsächlich durch Vorleben und Nachahmen lernen, nehmen nicht nur die Eltern oder andere Bezugspersonen, sondern auch die gesamte Lebensumgebung eines Kindes (Verwandte, Nachbarn, Kindergarten, Schule, Serien, Filme, Bücher, Comics, Werbung, usw.) Einfluss auf die soziale Rolle des Kindes. Die erlernten Verhaltensmuster zeigen sich bereits deutlich im Laufe der Kindheit, und entfalten sich vollständig mit dem Erwachen der eigenen Sexualität, also während der Pubertät. Danach sind sie ein zentraler Teil der Identität, und beeinflussen unbewusst den Großteil der Gedanken, Werthaltungen und Handlungen jedes erwachsenen Menschen.

Die meisten Menschen behalten das anerzogene Verhaltensmuster ihr Leben lang bei. Bei der Mehrheit der erwachsenen Menschen nehmen daher Menschen mit Vulva meistens die Rolle „Frau“ sowie Menschen mit Penis meistens die Rolle „Mann“ ein. Trans-Menschen und weitere Geschlechter sind jedoch genauso Mitwirkende der patriarchalen Rollenverteilung: Auch sie wurden in einer sozialen Rolle erzogen, und fallen durch ihr unbewusstes Verhalten entweder überwiegend in die Rolle „Frau“ oder „Mann“.

Wer sich wie die letztgenannnten Menschen bewusster mit der Wahrnehmung von geschlechtstypischem Verhalten beschäftigt, und beginnt, die eigene Rolle als eingeprägtes Muster zu bemerken, kann unbewusst oder bewusst unabhängig von Erziehung oder empfundenem Geschlecht in die jeweils andere Rolle wechseln. Alternative Subkulturen kennen das Phänomen und haben für Menschen, die zeitweise oder völlig in eine andere als die traditionelle Rolle schlüpfen, eigene Bezeichnungen entwickelt: Butch, Dyke, Tomboy, Tunte, Döschen, Transvestit, Crossdresser, usw.

Die Orientierung hat mit der sozialen Rolle übrigens gar nichts zu tun: So kann eine lesbische genauso wie eine Hetero-Frau verhaltensgleich die Rolle „Frau“ einnehmen, lediglich die erotischen und romantischen Wünsche sind an ein anderes Geschlecht gerichtet.

Für alle Geschlechter lässt sich das Patriarchat auf eine einfache Verleugnung zusammenkürzen:

Frauen wollen keinen Sex, sondern nur Liebe.
Männer wollen keine Liebe, sondern nur Sex.

Das ist die große patriarchale Lüge, die verpackt in den sozialen Rollen „Frau“ und „Mann“ in den patriarchalen Mehrheitsgesellschaften (der eurozentrischen/westlichen, der muslimischen und der russischen/asiatischen Gesellschaft) ständig als Wahrheit verkauft wird.

Diese Lüge mag so direkt aufgeschrieben als bekannter Unfug erscheinen. Da sie allerdings in den meisten Menschen immer noch unbewusst fest verankert ist, ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig, um diese falsche Idee zu entfernen. Mein Blog soll seinen Teil zu dieser Aufklärungsarbeit beitragen.

Wie sieht die patriarchale Lüge genau aus?

An wen richtet sich der Artikel?

Welche Orientierungen, Rollen, oder Geschlechter der Artikel anspricht
Sexuelle Orientierung(en): alle
Romantische Orientierung(en): alle
Geschlecht(er): alle
Wer ist mit Frau und Mann gemeint?
  • Frau steht für Mensch mit Vulva, überwiegend in der Rolle „Frau“,
  • Mann steht für Mensch mit Penis, überwiegend in der Rolle „Mann“
Erweiterbar auf:

In der Praxis bewirkt die aktive patriarchale Lüge, dass Frauen ihre Sexualität unterdrücken, da sie angeblich nur Liebe wollen. Nur in einer angebahnten oder bestehenden Liebesbeziehung werden diese Bedürfnisse ausgelebt. Die sexuelle Anziehung gegenüber anderen Menschen, die nur auf der Ebene Lust existiert, wird jedoch vor sich selbst und vor Anderen abgelehnt, um die falsche Idee, Sex nur in Kombination mit Liebe zu wollen, aufrechtzuerhalten.

Die Ebene Lust ist allerdings die direkte Standleitung zur eigenen Lebensenergie. Die Unterdrückung dieser bewirkt, dass Frauen im Vergleich zu Männern eine gewisse soziale „Trägheit“ aufweisen: So tendieren Frauen eher als Männer dazu, sich den Werten Anderer anzupassen und starre Systeme aufrechtzuerhalten; ebenso gibt es viel weniger weibliche als männliche Kunstschaffende (was nicht nur an den besseren Karrieremöglichkeiten für Männer liegt).

Männer handeln in der aktiven patriarchalen Lüge umgekehrt. Sie unterdrücken ihren Wunsch nach Fairness, Liebe und Zärtlichkeiten, um typischen Eigenschaften der Rolle „Mann“ wie „hart, unnahbar, allzeit sexuell bereit“ zu entsprechen. Sie leben die Ebene Lust daher aktiv aus, lehnen aber die Ebene Liebe vor sich selbst und vor Anderen ab, um so wiederum ihre falsche Idee aufrechtzuerhalten.

Die Unterdrückung der Ebene Liebe hat zur Folge, dass auch Wahrnehmungen und Handlungen auf Ebenen, wo es überhaupt nicht um Romantik geht, gedämpft sind oder gar ganz ausbleiben. Ein typisches Beispiel dafür sind Männer, die ihre Ebene Liebe so sehr unterdrücken, dass sie sogar auf der Ebene Freundschaft ihren besten männlichen Freund nicht so umarmen können, wie sie das gerade gerne tun würden. Auf allen Ebenen leidet die Fähigkeit, Empathie gegenüber Mitmenschen zu spüren und zu zeigen, sei es im Arbeitsumfeld oder bei der Anbahnung oder Auslebung eines sexuellen Interesses.

Eine akkurate Beschreibung und gleichzeitig Parodie der Rolle „Mann“ bietet das Lied „Männer sind Schweine“ von den Ärzten.

Kleine Wiederholung:

Die Ebene Liebe schließt die Ebene Lust mit ein.
Die Ebene Lust existiert aber auch unabhängig ohne die Ebene Liebe.

Für Sex braucht es eine menschliche Grundhygiene, sich gegenseitig attraktiv und sympathisch genug zu finden, sowie Konsens und Fairness von allen Beteiligten.

Für eine Liebesbeziehung braucht es alles, was für Sex notwendig ist – und zusätzlich Kennenlernen, zusammenpassende Interessen, Vertrauen, Verliebtheit und den Wunsch, möglichst viel vom eigenen Leben miteinander zu teilen.

Eine Liebesbeziehung ist also viel voraussetzungsvoller als ungezwungener Sex.

Jemanden geil zu finden ist demnach einfach, jemanden als ganzen Menschen ehrlich gemeint (!) so anziehend zu finden, dass Verliebtheit/Beziehungswunsch möglich ist, schon schwerer.

Daher tritt das Bedürfnis nach Handlungen der Ebene Liebe generell seltener auf als das Bedürfnis nach Sex – ganz einfach weil auf der Ebene Liebe weniger Menschen zu einem passen, als auf der Ebene Lust.

Treffen nun die sozialen Rollen „Frau“ und „Mann“ mit ihren jeweiligen Unterdrückungsmechanismen und falschen Ideen aufeinander, fällt ein Unterschied sofort ins Auge:

Frauen scheinen in der Anbahnung von sozialem Kontakt mit neuen Menschen passiver: Ihr Bedürfnis nach Liebe, das die inneren Grenzen ungehindert passieren darf, findet einfach seltener einen Resonanzmenschen als ihr Bedürfnis nach Sex, das ja unterdrückt wird. Diese Unterdrückung bewirkt, dass Resonanzmenschen auf der Ebene Lust gar nicht erst wahrgenommen werden. Daher haben Frauen Schwierigkeiten, Resonanzmenschen rein auf der Ebene Lust zu erkennen („Es gibt echt kaum hübsche Männer!“) oder – falls doch einmal einer über die Schwelle ins Bewusstsein schwappt – aktiv auf solche zuzugehen („Ich finde ihn nicht geil – ich schau weg. Ich finde ihn geil – ich schau weg.“). Bleibt das Ganze unbewusst, kann sich ein Umweg über die patriarchale Lüge bilden: Dann verliebt sich die Frau sekundärmotiviert, weil sie einen Sex-Resonanzmenschen fälschlicherweise als Resonanzmenschen auf der Ebene Liebe einordnet.

Bei Männern ist wieder das Gegenteil der Fall; sie scheinen raumeinnehmend: Ihr Bedürfnis nach Sex darf ihre inneren Grenzen ungehindert passieren, ihr Bedürfnis nach Liebe wird hingegen unterdrückt. So können sie ständig Resonanzmenschen auf der Ebene Lust wahrnehmen und ansprechen. Die Anzahl der Resonanzmenschen ist im Vergleich zur scheinbaren Auswahl aus der Sicht von Frauen natürlich mehr, denn die Ebene Lust beinhaltet von vorneherein mehr mögliche Kandidat_innen als die Ebene Liebe. Männer haben dann aber, weil sie die Ebene Liebe unterdrücken, Schwierigkeiten, mit einem Gegenüber empathisch und fair umzugehen, also u. A. das Gegenüber nicht zu überfahren – womit sie sowohl bei der Anbahnung eines One-Night-Stands als auch bei der Anbahnung einer Liebesbeziehung dafür ungeeignete Menschen anziehen, denen als Reaktion dann die Wünsche des betreffenden Mannes ebenso egal sind.

Ein Mann hat in diesem System höhere Erfolgschancen, sein Bedürfnis nach Sex auszuleben, wenn er durch Nähehandlungen wie Küssen, Streicheln oder Kuscheln die Ebene Liebe bei einer Frau anspricht. Denn die Ebene Liebe muss in der Rolle „Frau“ erst eingeschalten werden, um die Ebene Lust freizuschalten.

Damit ziehen auf der Highscore-Liste der patriarchalen Lüge Menschen, die die Rolle „Frau“ einnehmen, automatisch den Kürzeren:

Stimmt die Frau einer sexuellen Interaktion zu, bekommt der Mann wenigstens die Erfüllung seines Bedürfnisses nach Sex. Eine Frau bekommt weder das eine, noch das andere, da ihr Fokus auf der Erfüllung ihres Nähe-Bedürfnisses auf der Ebene Liebe liegt, das durch die „leeren“ Handlungen des Mannes von vorneherein nicht inkludiert war.

Aus einer größeren Entfernung verlieren allerdings beide Rollen/alle Geschlechter:

Denn natürlich wünschen sich Frauen Liebe und geilen Sex.
Und natürlich wünschen sich Männer geilen Sex und Liebe.

Und zwar sowohl als Ebene Liebe und Ebene Lust kombiniert (= Verliebtheit/Liebesbeziehung), als auch auf der Ebene Lust an sich (= Sex zum Spaß).

Im Endeffekt erlebt also niemand, was sier sich wünscht.

Die Einzementierung der patriarchalen Lüge – Teil 1/2: Im Mainstream oder: Warum stehen Frauen auf Arschlöcher?

An wen richtet sich der Artikel?

Welche Orientierungen, Rollen, oder Geschlechter der Artikel anspricht
Sexuelle Orientierung(en): heterosexuell, heterosexuell lebend wenn bisexuell
Romantische Orientierung(en): heteroamor, heteroamor lebend wenn biamor
Geschlecht(er): alle
Wer ist mit Frau und Mann gemeint?
  • Frau steht für Mensch mit Vulva, überwiegend in der Rolle „Frau“,
  • Mann steht für Mensch mit Penis, überwiegend in der Rolle „Mann“
Erweiterbar auf:
  • Mensch in der Rolle „Frau“ wünscht sich Liebe von einem Menschen in der Rolle „Mann“,
  • Mensch in der Rolle „Mann“ wünscht sich Sex von einem Menschen in der Rolle „Frau“,
  • alle sexuellen und romantischen Orientierungen.

Die patriarchale Lüge behauptet:

Frauen wollen keinen Sex, sondern nur Liebe.
Männer wollen keine Liebe, sondern nur Sex.

Wenn diese beiden Rollen aufeinander treffen, haben wir einen Mann, der seinen Wunsch nach Sex direkt an eine Frau richtet – und eine Frau, die angewidert ablehnt, da Sex nur gemeinsam mit der Ebene Liebe existieren darf – und die ist nicht Teil vom Paket.

Die angeborene ehrliche Kommunikation zwischen den Geschlechtern wird dadurch abgeschnitten. An ihre Stelle tritt mit den anerzogenen Rollen eine Kommunikation voller Sekundärmotivationen und „Spielchen“ – von Frauen und Männern gleichermaßen. Das setzt die folgende Kettenreaktion in Gang:

Um sein Bedürfnis nach Sex trotzdem zu befriedigen, fängt ein Mann, der diese Interaktionen durchschaut hat, ganz bewusst an, Frauen die Ebene Liebe vorzuspielen, um Sex zu bekommen. Dadurch verschafft er sich einen Vorteil unter allen Interessenten auf der Ebene Lust: Er übertrumpft alle, die die Ebene Lust ehrlich kommunizieren, da die begehrte Frau nur auf die Männer, die ihr die Ebene Liebe anbieten, positiv reagiert.

Weil Frauen ihre eigene sexuelle Aktivität unterdrücken, Männer diese aber ausleben, sieht aus dem Blickwinkel einer Frau die Männerwelt wie eine endlose Schlange an sexuellen Interessenten aus: Kaum wird dem ersten ein „Nein“ erteilt, steht der nächste bereit. Sehr gut ist das in jeder Online-Kontaktbörse ersichtlich, wo eine Frau von Anschreiben und Anfragen von Männern förmlich bombardiert wird, Frauen jedoch kaum Männer anschreiben.

Würden Frauen ihre sexuellen Wünsche nicht unterdrücken, sondern zulassen, und als Folge davon aktive Anbahnung betreiben, sähe die Anzahl und Häufigkeit der Interessent_innen und Anfragen bei allen Geschlechtern in etwa gleich aus: Männer würden genauso viele Sexangebote von Frauen bekommen, wie Frauen aktuell von Männern.

Ein Mann, der nun gelernt hat, seine Energie darin zu investieren, die Ebene Liebe vorzutäuschen, um so an Sex zu gelangen, sticht aus dieser schier endlosen Auswahl hervor. Der Trick ist nämlich, die Ebene Liebe so perfekt vorzuspielen, dass im Vergleich zu Interessenten, die ihre Persönlichkeit ehrlich mit Ecken und Kanten zeigen, eine Kunstperson übrigbleibt, die scheinbar keine Fehler mehr hat und sich als „Traumprinz“ verkauft.

Dabei ist die Kunstperson des Traumprinzen gar keine ausgeklügelte neue Persönlichkeit, sondern sogar die komplette Abwesenheit einer solchen – im Wesentlichen eine leere „Leinwand“, auf der eine Frau die Erfüllung ihrer Sehnsüchte zu sehen glaubt: Ihre eigenen unerfüllten Wünsche auf der Ebene Liebe, als auch ihre sexuellen Wünsche auf der Ebene Lust, die sie durch die Rolle “Frau” unterdrückt: “Endlich ein interessanter Mann, in den ich mich verlieben kann, und der mich richtig verführen wird!”

Dagegen wirken auf den ersten Blick nicht nur ehrliche Interessenten auf der Ebene Lust, sondern sogar ehrliche Interessenten auf der Ebene Liebe unscheinbar, die tatsächliche Liebesbeziehungen werden könnten. Daher entsteht der Eindruck, Frauen würden Arschlöcher sexuell und romantisch bevorzugen: Diese bekommen an Sex und an einer Liebesbeziehung interessierte Frauen, während Männer, die ehrlich kommunizieren, auf beiden Ebenen leer ausgehen.

Nun nimmt die Kettenreaktion eine exponentielle Geschwindigkeit an:

Immer mehr Männer, die diese Interaktion durchschauen, stellen resigniert fest, dass eh nur Arschlöcher Erfolg bei Frauen haben. Daraufhin lernen sie, selbst genauso eine Maske aufzusetzen, um an Sex zu kommen.

Und was ist daran jetzt ein Arschloch?

Ganz einfach: Hinter der Maske des Traumprinzen versteckt sich immer ein Mensch, dessen Charakter sich am treffendsten mit „Arschloch“ beschreiben lässt. Darunter kommt nämlich ein Mann zum Vorschein, der von der ständigen Ablehnung seiner ehrlichen Kommunikationsversuche auf der Ebene Lust oder der Ebene Liebe so frustriert ist, dass er nun mit einer gehörigen Portion Frauenverachtung und „Halt endlich her, du Scheiß-Frau“ an die Auslebung seiner sexuellen Bedürfnisse herangeht.

Setzt dieses Arschloch seine „Maske“ auf, haben wir einen Mann, der sexuelle und romantische Erfüllung zu versprechen scheint. In Wirklichkeit sind dies aber nur die exakten Worte, die die angesprochene Frau hören will. Immer wieder sogar nicht einmal das, denn ein geschicktes Arschloch verneint an ihn gerichtete Wünsche einfach nicht, sodass (für ihn) ständig so viele Optionen wie möglich offen bleiben.

Nach Einwilligung zu einem sexuellen Akt seitens der Frau, der ja das Ziel dieses ganzen Spielchens ist, geht die Gleichung für eine beteiligte Frau nicht auf:

Sie bekommt nicht einmal den Furz einer Erfüllung auf der Ebene Liebe – die war, entgegen aller Andeutungen und Versprechungen, von vorneherein nicht inkludiert. Außerdem meistens auch keine Erfüllung auf der Ebene Lust. Denn kein Arschloch ist daran interessiert, einer Frau großartig etwas zu geben oder große Sorgfalt auf ihre Befriedigung zu verschwenden. Denn eigentlich verachtet das Arschloch die von ihm verführte Frau – stellvertretend für alle Frauen, die ihn früher abgelehnt oder gar nicht erst bemerkt haben, als er noch ehrlich kommunizierte, weil ein anderes Arschloch ihn überstrahlte.

Menschen in der Rolle „Frau“, die auf diese Taktik der Arschlöcher in der Rolle „Mann“ hereinfallen, sammeln also haufenweise sexuelle und emotionale Enttäuschungen – und unterdrücken ihr eigenes sexuelles Bedürfnis daraufhin noch mehr, da die Auslebung dessen immer in negativen Konsequenzen endet.

Das wiederum vertreibt noch mehr ehrlich kommunizierende Männer, die über Zeit ebenfalls zu Arschlöchern werden, und die nächsten Frauen manipulieren, usw.

Und damit sind wir bei der Entstehung von Rape Culture gelandet.

Die Einzementierung der patriarchalen Lüge – Teil 2/2: In der queeren Szene oder: Das Patriarchat ist tot. Es lebe das Patriarchat!

An wen richtet sich der Artikel?

Welche Orientierungen, Rollen oder Geschlechter der Artikel anspricht
Sexuelle Orientierung(en): homosexuell, homosexuell lebend wenn bisexuell
Romantische Orientierung(en): lesbisch, schwul, homoamor lebend wenn biamor
Geschlecht(er): alle
Wer ist mit Frau und Mann gemeint?
  • Frau steht für Mensch mit Vulva, überwiegend in der Rolle „Frau“,
  • Mann steht für Mensch mit Penis, überwiegend in der Rolle „Mann“
Erweiterbar auf:
  • Mensch in der Rolle „Frau“ wünscht sich Sex mit einem weiteren Menschen in der Rolle „Frau“,
  • Mensch in der Rolle „Mann“ wünscht sich Sex mit einem weiteren Menschen in der Rolle „Mann“,
  • alle sexuellen und romantischen Orientierungen.

Diverse alternative Szenen auf der ganzen Welt, z. B. die linkspolitische oder queere Szene, behaupten gerne, das Patriarchat erfolgreich zu bekämpfen. Nachdem ich drei Jahre lang Feldforschung in der queeren Szene betrieben habe, kann ich zwar bestätigen, dass es tatsächlich einige vielversprechende Konzepte gibt, die die patriarchale Struktur zumindest aufweichen. Doch die Idee, das Patriarchat innerhalb der Szene erfolgreich zu bekämpfen, ist ganz einfach falsch.

Die sozialen Rollen „Frau“ und „Mann“ sind genauso wie im heteronormativen Mainstream präsent. Dabei hat die sexuelle Orientierung mit der sozialen Rolle gar nichts zu tun: So kann eine lesbische genauso wie eine Hetero-Frau verhaltensgleich die Rolle „Frau“ einnehmen, lediglich die erotischen und amoren Wünsche sind an ein anderes Geschlecht gerichtet.

In der Lesben- oder FLINT-Szene

In der Lesben-Szene nehmen meistens lesbische (= homoamore) oder biamore Frauen die Rolle „Frau“ ein. Ein biamorer Trans-Mann, eine lesbische Trans-Frau oder ein lesbisch-homoamores weiteres Geschlecht können sich aber genauso in der Rolle „Frau“ verhalten.

In der Rolle „Frau“ unterdrücken diese Menschen ihr Bedürfnis nach der Ebene Lust, da Sex ja nur in Kombination mit der Ebene Liebe erlaubt ist.

Die Ebene Lust ist allerdings die direkte Standleitung zur eigenen Lebensenergie. Die Unterdrückung dieser führt dann zu FLINT-Umgebungen, in denen viele passive Frauen herumstehen und keine großartige soziale Interaktion zustande kommt. Die einzige Ausnahme bilden bestehende Pärchen, die zumindest untereinander eine aktive Ebene Lust haben.

Das Bedürfnis nach der Ebene Lust mit verschiedenen Menschen zu unterdrücken bleibt allerdings niemals ohne Konsequenzen.

So hat sich in fast allen Lesbenszenen der westlichen Gesellschaft ein typisches unbewusstes Verhaltensmuster herausgebildet: Da die Rolle „Frau“ Sex nur in einer Verliebtheit oder Liebesbeziehung zulässt – und das auf beiden Seiten! – sind unter Frauen und weiteren Geschlechtern in der queeren Szene sekundärmotivierte Verliebtheiten so weit verbreitet, dass es viele Kurzzeitbeziehungen, extreme serielle Monogamie und damit verbundenes Drama gibt. Dieses Verhalten tritt so häufig auf, dass es in Lesbenszenen bereits ein Klischee darstellt, und Menschen als der Szene zugehörig kennzeichnet, wenn sie darüber Witze machen.

Ein anderer Weg ist der folgende: Sexuelle Anbahnung zum Spaß wird im heteronormativen Mainstream meistens von Hetero-Männern in der Rolle „Mann“ erfüllt, was unter mehrheitlich Lesben und Schwulen natürlich ausbleibt. Also rutschen anwesende Frauen in diese Rolle: Dykes oder Butches betreiben im Vergleich zur Umgebung oft aktiv sexuelle Anbahnung. Durch Vorspielen der Ebene Liebe „knacken“ sie die Unterdrückung der sexuellen Bedürfnisse des Gegenübers in der Rolle „Frau“ und können so ihre Ebene Lust ausleben.

Da sie sich aber in der Rolle „Mann“ befinden, unterdrücken sie ihrerseits ihre eigene Ebene Liebe. Das dämpft die Fähigkeit, Empathie gegenüber Mitmenschen und deren Gefühlen zu empfinden. Damit fällt es leichter, eine „Traumprinz(essin)“-Maske aufzusetzen. Ein passendes Beispiel dafür ist der Charakter „Shane“ in der Serie „The L Word“. Um Sex zu haben, sagt sie genau das, was ihr Gegenüber in der Rolle „Frau“ hören will. Meistens macht sie sogar gar nichts, und verneint Wünsche, die ihr Gegenüber an sie richtet, einfach nicht. Erst später im Handlungsverlauf stellt sich heraus, dass sie nichts davon wollte, sondern es einfach passieren ließ, solange sie damit im Vorteil war.

Hier möchte ich betonen, dass selbstverständlich nicht alle Dykes oder Butches so tief in der Rolle „Mann“ gefangen sind, dass sie ein Arschloch mit Traumprinz(essin)-Maske werden. Geschieht die Einnahme von beiden Rollen jedoch oft genug, um eine exponentielle Kettenreaktion in Gang zu setzen, kann auch in einer FLINT-Umgebung Rape Culture mit sexuellen Nötigungen und Übergriffen entstehen.

In der schwulen Szene

In der schwulen Szene hingegen herrscht ein konträres Bild: Die Rolle „Mann“ wird dort meistens von schwulen (= homoamoren) oder biamoren Männern angenommen. Ein biamorer Trans-Mann oder ein schwul-homoamores weiteres Geschlecht kann sich aber genauso in der Rolle „Mann“ verhalten.

Diese Menschen lassen dann ihr sexuelles Bedürfnis der Ebene Lust durch; ihr Bedürfnis nach Empathie und Liebe auf der Ebene Liebe hingegen unterdrücken sie vor sich selbst und vor anderen. Dadurch entsteht ein sexuell recht offener Raum, in dem Berichte über One-Night-Stands, sexuelle Anbahnungen, Anspielungen oder Scherze mit genitalem Inhalt zum Small Talk gehören. Hat die Mehrheit der Gruppe enthemmende Drogen konsumiert (z. B. Alkohol), tritt dieses Verhalten noch deutlicher auf.

In Beziehung lebende Menschen begegnen dieser sexuellen Offenheit und Promiskuität allerdings mit Distanziertheit und Skepsis. Sind sie als Pärchen unterwegs, halten sie bewusst Abstand und sind eher aufeinander als auf die Gemeinschaft konzentriert. Die Singles beklagen indessen, dass es so schwer ist, einen geeigneten Partner für eine romantische Beziehung zu finden, oder eine solche längerfristig zu halten. Gemeinsames Schauen von Online-Dating-Seiten und Besprechen der jeweiligen (gescheiterten) Beziehungserfahrungen inbegriffen.

Das sind direkte Folgen der Unterdrückung der Ebene Liebe: Wenn in einer Liebesbeziehung beide Seiten ihre Ebene Liebe unterdrücken, gibt es keine Verbindungsmöglichkeit zwischen den Gefühlsebenen, die für eine erfolgreiche Liebesbeziehung zwingend notwendig ist.

Einige Schwule oder Bi-Männer, insbesondere wenn diese als „weiblich“ besetzte Persönlichkeitsanteile ausleben, geraten durch das Überangebot der Rolle „Mann“ als unbewussten Ausgleich in die Rolle „Frau“. Dann lehnen sie die sexuellen Anspielungen der Gegenüber pikiert ab. Dadurch geraten sie zusätzlich in die Rolle des „Spielverderbers“ und ziehen negative Aufmerksamkeit von bestimmten Menschen in der Rolle „Mann“ auf sich. Diese haben eine eingeschränkte Wahrnehmung von Fairness gegenüber Mitmenschen und erkennen daher die nonverbalen Signale nicht, die die Grenze zwischen Anbahnung und Übergriffigkeit markieren – oder ignorieren solche Signale sogar bewusst. Dieses Verhalten ist dann eine Form von Rape Culture.

Im Marketing:

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die queere Szene demnach kein Ort ist, an dem das Patriarchat überwunden wurde, sondern sogar ein besonders genauer Filter. Er kommt durch die stärkere Geschlechtertrennung als im Mainstream zustande und erlaubt einen guten Blick auf die Anwendung der patriarchalen Lüge:

Die FLINT-Szene auf der einen Seite verstärkt die Verhaltensweisen der Rolle „Frau“ bis ins Absurde, die schwule Szene auf der anderen Seute tut dasselbe mit den Verhaltensweisen der Rolle „Mann“.

Ein interessantes Beispiel dafür sind die Empfehlungen zur LGBT-Kultur Wiens des Unternehmens Wien-Tourismus. So wird für Lesben und Bi-Frauen eine Liste an Cafés und Clubbings angeboten. Die typischen Tätigkeiten dort sind: Miteinander reden, Netzwerken für die queere Szene, Lesen (wenn das Café Bücher hat) und auf Clubbings Tanzen. Für Schwule und Bi-Männer hingegen gibt es eine eigene Liste an Schwulensaunas: Die typischen Tätigkeiten dort sind: Swingen (= Sex zum Spaß) und Thermenbesuch. Zitat eines Schwulen darüber zu mir: „Wenn du dort eine Frau für Sex zum Spaß suchst, musst du sie dir mitbringen!“

Warum gibt es keine „Lesbensauna“, wo ausschließlich Frauen und andere Menschen mit Vulva miteinander geilen Sex zum Spaß haben können? Und kein nettes Büchercafé für ausschließlich Schwule, wo diese in Ruhe sitzen, miteinander reden, netzwerken und lesen können?

Genau: Weil die patriarchale Lüge aktiv ist. Frauen wollen schließlich nur Freundschaft und Liebe und Männer nur Sex.