Was bedeutet queer?

Im englischen Sprachraum wurde das Wort ursprünglich als Beschimpfung oder abwertende Eigenschaft benutzt. Es bezeichnet als Adjektiv Dinge oder Personen, die von der Norm abweichen. Auf Deutsch bedeutete queer seltsam oder eigenartig. Seit den 1980er-Jahren wurde das Wort insbesondere von der Schwulen-, Bi- und Lesben-Bewegung positiv besetzt und wird heute von dieser als Eigenbezeichnung verwendet: Queere Bewegung, queere Szene, queere Subkultur. Das Kürzel LGBT fasst die am häufigsten vorkommenden Identitäten in der queeren Szene zusammen (Lesbian, Gay, Bi, Trans) und wird deshalb oft als Synonym verwendet.

Daneben gibt es noch andere Definitionen von queer, die sich nicht ausschließlich um homoamore und homosexuelle Orientierungen drehen, sondern auch weitere Geschlechter, und alternative Lebensweisen miteinschließen, welche als einzigen gemeinsamen Nenner „nicht Teil der Mehrheit“ beinhalten. Diese werden dann mit anderen Kürzeln wiedergegeben. Die Aufnahme solcher neuer Gruppen unter den Begriff queer sowie die Gestaltung der Kürzel sind allerdings in der queeren Szene und sogar unter Beteiligten der jeweiligen Gruppen heftig umstritten.

Das zweithäufigste Kürzel für die queere Subkultur steht für eine solche Erweiterung und hat deshalb mehr Buchstaben: LGBTQIA* (Lesbian, Gay, Bi, Trans, ergänzt mit Queer, Intersex, Asexual). Der Stern steht für die Menschen, die sich nicht mit den verwendeten Begriffen im Kürzel identifizieren, aber die sich aufgrund anderer persönlicher Eigenschaften als Teil der Bewegung fühlen. LGBTQIA* ist somit ein rekursives Akronym (= Es enthält sich selbst): Es bedeutet queer, enthält queer jedoch nochmal als eigenen Buchstaben. Dieser wird genutzt, um entweder weitere noch nicht genannte Geschlechter, BDSM-Praktizierende, oder Menschen, die Polyamorie leben – oder alle jene Gruppen auf einmal – zu bezeichnen.

Was ist Intersex? Was ist Intergeschlechtlich?

Im Diskurs um Geschlechter werden die Begriffe intersex, intersexuell und intergeschlechtlich gleichbedeutend verwendet. Allerdings stecken dabei zwei grundverschiedene Eigenschaften dahinter.

Menschen können weiblich, männlich oder intersex geboren werden. Diese Einteilung ist eine Übersetzung der englischen Einteilung female, male oder intersex. Das englische Wort sex bezieht sich dabei nicht auf Sex haben, sondern auf die Körperteile, welche Menschen dafür (hauptsächlich) brauchen, nämlich die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale. Davon gibt es drei Formen:

  1. Weiblich bedeutet: besitzt eine Vulva, aber keinen Penis.
  2. Männlich bedeutet: besitzt einen Penis, aber keine Vulva.
  3. Intersex bedeutet: besitzt nicht nur eine Vulva oder nur einen Penis, sondern eine Mischform. Meistens ist dabei ein Organ voll entwickelt, während ein anderes geringer ausgebildet ist. Genauso können aber beide Organe vollständig entwickelt sein oder aber beide Organe zwar vorhanden, aber nicht voll ausgebildet sein.

Der ältere Begriff Intersexuell ist mittlerweile weniger in Gebrauch, denn er stiftet Verwirrung: Die Endung -sexuell bezeichnet nämlich eine sexuelle Orientierung (wie bisexuell oder homosexuell). Die damit bezeichneten Menschen haben aber eben keine weitere sexuelle Orientierung, sondern von der Mehrheit abweichende Geschlechtsorgane. Da sex das körperliche Geschlecht meint, lautet die passendere Bezeichnung intersex.

„Das Geschlecht“

Die Geschlechtsorgane sind allerdings nicht alles, was beim Menschen „das Geschlecht“ ausmacht. Hinzu kommen kulturelle Vorstellungen, eine Identität, welche der Mensch aus diesen zusammensetzt, und schließlich Archetypen aus Geschichten und Mythologie („die Prinzessin“, „der Krieger“, etc.).

Daher bedeuten Intersex-Geschlechtsorgane für den betreffenden Menschen nicht automatisch, dass diese_r sich nach der Pubertät als ein weiteres, nicht-binäres Geschlecht abseits der binären Geschlechter Frau und Mann fühlen wird. Manche sind bis dahin mit der Bezeichnung Frau oder Mann im Wesentlichen zufrieden. Einige belassen ihren Körper so wie er gewachsen ist, während andere ihren Körper mittels Transition an das gewählte Geschlecht anpassen möchten. Andere hingegen fühlen sich aufgrund ihres Körpers tatsächlich weder als Frau, noch als Mann. Diesen Menschen entspricht dann tatsächlich die Bezeichnung als drittes Geschlecht, nicht-binär, o. Ä. am besten.

Intergeschlechtlich ist ein relativ neues Wort und daher noch schwammig. Es kann das bloße Vorhandensein von Intersex-Geschlechtsorganen meinen, während sich die Person als Frau oder Mann bezeichnet. Für den Menschen kann es aber genauso eine Selbstbezeichnung als ein weiteres Geschlecht sein.

Wofür steht FLIT / FLINT?

Das Kürzel FLIT steht für eine Zusammenfassung verschiedener Gruppen innerhalb der queeren Subkultur, die sich um die Orientierung lesbisch (homoamor) und/oder homosexuell drehen. Es steht für Frauen, Lesben sowie Intergeschlechtliche und Trans-Personen, die sich der lesbischen Szene zugehörig fühlen. Lokale, Veranstaltungen und Workshops mit diesem Kürzel sind safe spaces (engl. geschützte Räume) für die genannten Menschen, und beschränken den Eintritt auf diese Gruppen.

Ein geschützter Raum soll den Menschen darin die Möglichkeit bieten, sich über Themen auszutauschen, und gemeinsame Aktivitäten auszuleben, die vom heteronormativen Mainstream unterdrückt werden – durch Unsichtbarmachung (Alle tun so, es gäbe es die Sache nicht), oder Diskriminierung (Beschimpfungen, Abstempelung als „krank“, Verweigerung von Hilfeleistungen, Verfolgung). Zu diesem Zweck sind aus geschützten Räumen bestimmte Menschen ausdrücklich ausgeladen, die diese Verhaltensweisen mitbringen könnten.

Ausgeladen

Aus einem FLIT-Raum ausgeladen sind lediglich Männer, also Menschen, die mit einem Penis geboren wurden und die keinen Wunsch danach haben, ihre Selbstbezeichnung oder ihr Geschlechtsorgan zu ändern.

Einige Betreiber_innen behaupten, dass Männer deswegen ausgeladen wären, weil sie in einer patriarchalen Gesellschaft im Vergleich zu allen anderen Geschlechtern weniger Unterdrückungsmechanismen ausgesetzt seien und somit bei Themen von Frauen oder nicht-binären Geschlechtern schlecht mitreden könnten.

Der häufigste Grund ist jedoch der folgende:

Im heteronormativen Mainstream, also in der Öffentlichkeit oder beim Fortgehen, gibt es leider erschreckend viele hetero lebende Männer, die zu lesbisch lebenden Menschen nicht gerade nett sind. Dabei ist es egal, ob diese als Paar unterwegs sind, oder ganz einfach offen zeigen, dass sie (auch) Frauen begehren. Diese unfairen und teilweise übergriffigen Verhaltensweisen sind so häufig, dass fast jede offen lesbisch lebende Frau ein negatives Erlebnis mit einem Hetero-Mann erzählen kann, das mit ihrer Orientierung zu tun hatte. Der Ursprung solcher Verhaltensweisen sind un- und teilbewusste patriarchale Überzeugungen, die zu toxischer Männlichkeit, also destruktiven Handlungen und Reaktionen, führen. Nachfolgend habe ich die häufigsten Überzeugungen aufgelistet, und welches Verhalten die betreffenden Männer deswegen ausfahren.

Frauen flirten und haben mit anderen Frauen Sex, um damit die Aufmerksamkeit von Männern zu bekommen.

Hetero-Männer kommen „Lesben schauen“. Das wäre kein Problem, wenn die betreffenden Männer bei einer Aufforderung, nicht zu stören, weggehen würden. Stattdessen schleichen sich solche Männer möglichst nahe an flirtende Frauen heran, und scheuen bei erkennbaren Handlungen auch nicht vor Zwischenrufen zurück. Darin steckt wohl die Hoffnung, dass sie einen Privatporno nach ihren Anweisungen vorgeführt bekommen. Das erzeugt eine richtig schlechte, lauernde Stimmung, in der sich selbst Menschen, die Männer grundsätzlich sexuell anziehend finden, nicht wohlfühlen.

Intersex- und Trans-Menschen wollen durch ihr Aussehen oder Verhalten provozieren.

Hetero-Männer fragen Intersex- und Trans-Menschen, die sie attraktiv finden, gerne aus dem Nichts, was sie denn nun zwischen den Beinen hätten, üblicherweise lautstark, und ohne Rücksicht auf die Umgebung. Und natürlich ohne vorher festzustellen, ob das angesprochene Gegenüber überhaupt an einer Anmache interessiert ist.

Oftmals liefert der betreffende Mann dann auch noch eine Erklärung, warum das Gegenüber nicht das ausgesuchte Geschlecht, sondern eigentlich eine Frau oder ein Mann sei, sich falsch anziehe, oder falsch verhalte. Das hat bei dem Mann den unbewussten Grund, dass er von seiner sexuellen Anziehung zu diesem „uneindeutigen“ Menschen verunsichert ist. Durch Zuweisung des „richtigen“ Geschlechts und Verhaltens will er „beweisen“, dass er trotzdem weiterhin absolut hetero und dominant ist, wie es der Mainstream von ihm fordert. Auch viele Gewalttaten gegen Trans-Menschen haben dieses Motiv.

Das Fragen nach dem Geschlechtsorgan wäre im Zuge einer gegenseitigen Anbahnung kein Problem. Wir leben schließlich in einer Welt, in der es völlig homosexuelle und völlig heterosexuelle Menschen gibt, wo also nicht alle Menschen auf alle Geschlechtsorgane stehen. Außerdem kann jemand nur Sex im Konsens zustimmen, über den der betreffende Mensch vorher genügend informiert wurde. Das zu erwartende Geschlechtsorgan vorzuenthalten oder jegliches Nachfragen zu verunmöglichen oder zu verurteilen, nichtkonsensuell, also übergriffig. Ob die Person, die aus Prinzip nicht gefragt werden will, aus dem Mainstream kommt, nicht-binär, oder trans ist, macht dabei keinen Unterschied: Höfliches Nachfragen ist die einfachste Möglichkeit, diese Information zu erhalten, und muss daher zwischen allen Menschen unproblematisch passieren können.

Das Problem ist bei toxischen Männern vielmehr, wie dieses Nachfragen erfolgt – rücksichtslos, im Befehlston, und mit dem Ziel, das Gegenüber negativen Reaktionen der unmittelbaren Umgebung auszusetzen.

Frauen sind nur als Überbrückung lesbisch, bis sie „den Richtigen“ gefunden haben.

Hetero-Männer baggern anwesende Frauen an, und lassen sich weder durch ein höfliches „Nein“, noch durch „Ich stehe nicht auf Männer“ abwimmeln, in der Annahme, dass sie „der Richtige“ sein könnten. Eine andere Ausprägung davon sind Hetero-Männer, die Lokale der Schwulenszene besuchen, um dort Frauen aufzureißen. Deren Gedankengang geht folgendermaßen: Die Männer sind schwul, die Frauen jedoch keine Lesben, sondern hetero und Freundinnen der anwesenden Schwulen. Da die anwesenden Männer also keine Konkurrenz sind, hätten sie als „Hahn im Korb“ bei den Frauen leichtes Spiel. Dieser Glaubenssatz würde wohl unter „so dumm, dass es wieder lustig ist“ fallen. Leider verhalten sich die entsprechenden Männer üblicherweise übergriffig, indem sie nach einem „Nein“ die angebaggerte Lesbe üblicherweise bedrängen oder beschimpfen, da sie ihren Irrtum nicht einsehen wollen.

Lesbische Paare haben ohne Penis keinen richtigen Sex und sehnen sich daher nach einem Dreier mit einem Mann.

Hetero-Männer belagern und baggern lesbische Paare aggressiv an. Dabei hilft ein höfliches „Nein“ genauso wenig wie „Das ist meine Freundin, wir sind monogam“.

Ein problematisches Konzept

Männer auszuladen ist daher die einfachste Methode, damit die anwesenden Lesben keiner toxischen Männlichkeit ausgesetzt sind. Unter sich können sie sich auf das konzentrieren, wozu sie in die lesbische Szene gehen:

  • Frauen und nicht-binäre Menschen für Sex oder eine Beziehung kennenzulernen,
  • oder Bekannt- und Freundschaften mit dem gemeinsamen Thema Lesbisch sein zu pflegen.

Das vorhandene Konzept hat allerdings mehrere Probleme: Sowohl die eingeladenen als auch die ausgeladenen Personen sind schwammig definiert. Das schafft innerhalb der queeren Szene sowie unter Beteiligten der eingeladenen Gruppen ständige Konflikte um bestimmte Themen:

  1. Alle Männer auszuladen unterstellt gleichzeitig allen Männern, gegenüber Lesben und dort anwesenden Menschen garantiert unfair oder übergriffig zu werden. Das stimmt jedoch für viele Männer einfach nicht, die sehr wohl fähig sind, sich zivilisiert zu unterhalten, oder ein „Nein“ ohne Herumjammern zu akzeptieren. Dadurch vertreibt die Szene Männer, die sich sonst für die queere Szene engagieren, und/oder mit wichtigen Themen für Frauen in Berührung kommen würden. Beides würde dabei helfen, dass Männer im Alltag besser gegen Unsichtbarmachung und Diskriminierung auftreten könnten.
  2. Bisexuelle Frauen und nicht-binäre Geschlechter, die in einer Beziehung mit einem Mann leben, dürfen ihren Partner zu Veranstaltungen nicht mitbringen. Im Gegensatz dazu sind Paare aus Frauen oder nicht-binären Geschlechtern oftmals gemeinsam in der Szene unterwegs. Dadurch engagieren sich bisexuelle Menschen in der Szene weniger, und werden genauso wie im heteronormativen Mainstream unsichtbar gemacht.
  3. Frauen mit maskulinem Aussehen (Butch, Dyke) beklagen, das sie von anderen Menschen in der Szene für einen Mann gehalten werden. Das wiederum kann Anlass geben, dass die Teilnahme an der gewünschten Veranstaltung infrage gestellt, oder sogar der Zutritt verweigert wird.
  4. FTM-Trans-Männer haben oft eine Verbindung zur lesbischen Szene, da sie entweder vor der eigenen Transition in dieser unterwegs waren, oder danach den erhöhten Schutz vor Diskriminierung in Anspruch nehmen. Ihr Zutritt zu diesen geschützten Räumen „ohne Männer“ impliziert jedoch, dass sie „nicht so ganz Mann“ wären, was etwa Gegner von zentralen Transgender-Rechten gerne als Argument aufgreifen.
  5. MTF-Trans-Frauen, die andere Frauen begehren, gehen während oder nach ihrer Transition aufgrund gleicher Interessen, und dem erhöhten Schutz vor Diskriminierung oftmals in die lesbische Szene. Das wird von Teilen der queeren Szene kritisiert, mit der Begründung, dass die meisten Trans-Frauen „als Mann“ erzogen wurden, und damit entweder bei Frauenthemen nicht mitreden könnten, oder genauso wie Männer toxische Männlichkeit in die Szene bringen würden.
  6. Ausgeladene Männer werden als „Menschen mit Penis“ definiert, während andere Menschen mit einem männlichen Geschlechtsorgan jedoch eingeladen sind. In einem Raum, in dem sich mehr als zwei Geschlechter entfalten können, verschwindet auch die „binäre“ Zuordnung von Geschlechtsorganen: Alle Begriffe – Frau, Mann, Trans(gender), sowie die Selbstbezeichnungen von nicht-binären Menschen – enthalten keine Aussage über das vorhandene Geschlechtsorgan. Das heizt immer wieder die Diskussion an, ob das primäre Geschlechtsorgan (Vulva, Penis, oder Intersex) beim Zutritt überhaupt nicht relevant sein darf, oder doch berücksichtigt werden sollte.
  7. Diese Diskussion wird teilweise von erbitterten Fraktionen geführt, von denen einige Gruppierungen wie TERF (Trans-Exclusionary Radical Feminists) den völligen Ausschluss von Trans-Menschen fordern, um wieder eine „binäre“ Ordnung herzustellen, und dies u. A. mit paranoiden Interpretationen begründen, wie dass Trans-Frauen Männer wären, die sich als Frauen verkleiden, um Lesben verführen zu können.
  8. Währenddessen findet die angeblich transfreundliche Gegenseite bereits jede Erwähnung eines Zusammenhangs zwischen Geschlecht und Körperlichkeit „transphob“ – außer bei Hetero-Männern, deren Ausschluss nach wie vor mit einer körperlichen Eigenschaft begründet wird. Konkrete Lösungsansätze fǘr die alltägliche Unsichtbarmachung oder Maßnahmen gegen Gewalt an nicht-binären und Trans-Menschen kommen hingegen im gesamten Diskurs nicht vor.
Updates

Im Jahr 2017 setzte sich mit FLINT allmählich ein neues Kürzel für dieselbe Szene durch, das wahlweise auch mit Stern (FLINT*) geschrieben wird. Das neue N steht für nicht-binäre Personen, also weitere Geschlechter abseits der binären Geschlechter Frau und Mann. Das Kürzel lädt also nun Frauen, Lesben, Intergeschlechtliche Personen, Nicht-binäre Geschlechter und Trans-Personen ein. Intergeschlechtliche fallen jedoch unter die Gruppe der nicht-binären Geschlechter, wodurch die Bedeutung des I doppelt vorkommt.

Im Jahr 2019 tauchte die Entwicklung auf, das L für Lesben fallweise wegzulassen, sodass FINT übrigbleibt. Dadurch fühlen sich jedoch einige lesbische Frauen unsichtbar gemacht, insbesondere ältere Lesben, die die heutige Szene mit aufgebaut haben. Hinter FINT steckt allerdings die Überlegung, nur noch die eingeladenen Geschlechter im Kürzel zu haben, welche alle lesbisch leben können, was eine extra Erwähnung überflüssig machen würde, genauso wie Buchstaben für andere sexuelle Orientierungen oder Lebensweisen.

Was bedeutet WSW und MSM?

Das im englischen Sprachraum entstandene WSW steht für „Woman who has sex with other women“, zu Deutsch FSF („Frau, die Sex mit Frauen hat“). MSM bedeutet analog „Man who has sex with other men“, also „Mann, der Sex mit Männern hat“. Frau und Mann beziehen sich in diesem Fall auf das genitale Geschlecht (engl. sex), also Frau steht für Mensch mit Vulva, und Mann für Mensch mit Penis.

WSW und MSM sind politisch eingeführte Bezeichnungen, um Menschen bei der öffentlichen Prävention gegen HIV/Aids ohne Diskriminierung anzusprechen und die Kommunikation auf das Wesentliche zu beschränken: Welche Geschlechtsorgane bei einem sexuellen Erlebnis wie in Berührung kamen und inwiefern sich jemand dabei mit HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten anstecken kann.

Werkzeug: Der Artikel richtet sich an…

Mich nervt, dass fast alle Texte im Internet zu feministischen Themen entweder heteronormativ oder übermäßig inklusiv geschrieben sind.

Heteronormativ?

Heteronormativ bedeutet, dass der Text von einer Leserschaft im Hetero-Mainstream ausgeht. Beispiele dafür sind:

  • Frau steht für Hetero-Frau
  • Frau steht für feminines Aussehen
  • Mann steht für Hetero-Mann
  • Mann steht für maskulines Aussehen
  • Sex steht für Penis-in-Scheide-Penetration
  • Familie steht für ein Hetero-Paar mit ein oder zwei Kindern, die der Mann gezeugt, und die Frau ausgetragen hat, usw.

Wer sich hier „Für was soll es denn sonst stehen?“ fragt oder „Na, das heißt es doch!“ findet, zeigt die Notwendigkeit einer inklusiven Sprache auf. Es gibt nämlich ganz schön viele Menschen, die sich in diesen Beschreibungen nicht wiederfinden: Menschen mit Bi- oder Homo-Orientierung, Trans-Menschen, weitere Geschlechter, sowie alternative Lebensweisen wie offene Beziehungen, Polyamorie oder bewusste Kinderlosigkeit. Indem diese gar nicht erwähnt werden, wird der Hetero-Mainstream als einziger (gesunder) Lebensentwurf präsentiert. Alle anderen Lebensweisen „gibt es nicht“ – und wenn, dann sind sie falsch oder krank.

Dieser Mechanismus wird erasure (= engl. Unsichtbarmachung) genannt und erzeugt viel Leid bei den Betroffenen: Angefangen bei fehlenden Worten für die eigenen Bedürfnisse, über Ausgrenzung der Umgebung, die so tut, als wäre die abweichende Person die einzige mit diesem Bedürfnis, die sie kennen (was so gut wie immer nicht stimmt), bis hin zu tatsächlicher Diskriminierung, etwa wenn ein homoamores Paar keine eigenen Kinder haben darf, oder wenn nicht alle Menschen eines Polyküls dieselbe Rechtssicherheit wie eine Ehe zu zweit bekommen können.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, warum die meisten Texte immer noch diese unethische Weltsicht verbreiten. Die einfache Antwort lautet: wegen des Patriarchats. Jedoch gibt es noch einen Grund: Diese eingeschränkte Sichtweise hat den Vorteil, dass ein Text über komplexe soziale Bedingungen einfach formuliert und strukturiert werden kann – und eine bessere, genauso einfache Sprache wurde bis jetzt nicht erfunden, oder zumindest nicht genügend verbreitet.

Inklusiv?

Inklusiv bedeutet, dass der_die Autor_in möglichst alle Minderheiten berücksichtigt und erwähnt, die der Inhalt betrifft. Das hat den Vorteil, dass eben keine oder nur wenig heteronormative Unsichtbarmachung vorkommt, und alle Lebensweisen gleichwertig behandelt werden. Daraus folgt aber der Nachteil, dass die Definition von wer jetzt genau angesprochen wird viel Platz vom Text in Anspruch nimmt, sodass solche Artikel entweder unnötig viel Text für ihre Kernaussage(n) brauchen, die Satzstruktur mühsam zu lesen ist, oder entscheidende Teile des Inhalts unverständlich verkürzt werden müssen.

Auf meinem Blog möchte ich eine Brücke zwischen beiden Ansätzen schlagen. Daher findest du über einigen meiner Artikel eine Tabelle, die auflistet, an welche Orientierung und welches Geschlecht sich dieser Artikel richtet, und was ich mit Geschlechtsbezeichnungen wie Frau oder Mann meine – das kann je nach Zweck des Artikels nämlich unterschiedlich sein! Da ich selbst biamor (also auch bisexuell) bin, und daher sowohl im Hetero-Mainstream, als auch bei den meisten Projekten der queeren Szene Unsichtbarmachung erfahre, ist mir die Sichtbarmachung von Bi-Lebensweisen besonders wichtig, wie in dieser Vorschau:

An wen richtet sich der Artikel?
Welche Orientierungen und Geschlechter der Artikel anspricht
Sexuelle Orientierung(en): heterosexuell, heterosexuell lebend wenn bisexuell
Romantische Orientierung(en): heteroamor, heteroamor lebend wenn biamor
Geschlecht(er): Frau
Wer ist mit Frau und Mann gemeint? Frau steht für Mensch mit Vulva, überwiegend in der Rolle „Frau“

Mann steht für Mensch mit Penis, überwiegend in der Rolle „Mann“

Erweiterbar auf: Alle sexuellen und romantischen Orientierungen
Alle Menschen in der Rolle „Frau“

Im Alltag bedeutet „in der Rolle Mann“ zu sein, dass die Person erkennbare toxische Männlichkeit (toxic masculinity) ausfährt. Genauso bedeutet „in der Rolle Frau“ zu sein, dass die Person erkennbare toxische Weiblichkeit (toxic femininity) in ihrem Verhalten zeigt.

Die Zeile „Erweiterbar auf“ zeigt auf jene Menschen, die im Artikel zwar nicht explizit erwähnt werden, die jedoch die gleiche Psychodynamik haben können – also die Verhaltenweisen, die im Artikel geschildert werden, ebenfalls haben (können). Wer den Text an die passenden anderen Orientierungen oder Menschen richten möchte, kann etwa „Frau“ im Artikel mit „Mensch, der sich eher wie eine Frau verhält“ ersetzen, und „heteroamor“ mit „homoamor“ oder „lesbisch“, usw.

Beispiele:

In der folgenden Tabelle habe ich alle Zeilen umfassender erklärt. Hierbei ist zu beachten, dass dieses Modell eine absichtliche Verkürzung darstellt. Ich sage über niemanden, dass er / sie / sier „in Wirklichkeit“ eine Frau, ein Mann, etc. wäre. Wer eine bessere Idee hat, wie ich

  • alle (auf Facebook mittlerweile über 100) Geschlechter inkludiere,
  • Mit Begriffen des queeren Diskurses, deren Bedeutung sich ständig verändert, aktuell bleibe,
  • und eine heteronormative Leserschaft ohne Erfahrung mit queerer Sprache verständlich anspreche,

kann mir Anregungen oder ein vollständiges, anderes Modell gerne als Kommentar hinterlassen.

Erklärung: Welche Orientierungen und Geschlechter der Artikel anspricht
Die Tabelle: Erklärung: Der Artikel richtet sich an…
Sexuelle Orientierung(en): heterosexuell, heterosexuell lebend wenn bisexuell Frauen, die mit Männern lustvollen Sex haben (können)

Frauen, die mit einem Mann in einer romantischen Beziehung leben (können)

Romantische Orientierung(en): heteroamor, heteroamor lebend wenn biamor
Geschlecht(er): Frau
Wer ist mit Frau und Mann gemeint? Frau steht für Mensch mit Vulva, überwiegend in der Rolle „Frau“

Mann steht für Mensch mit Penis, überwiegend in der Rolle „Mann“

Frau meint nicht nur Frauen, die sich selbst so bezeichnen, sondern auch Intersex-Personen und weitere Geschlechter mit einer Vulva. Davon alle, die sich meistens in der Rolle „Frau“ verhalten.

Mann meint nicht nur Männer, die sich selbst so bezeichnen, sondern auch Intersex-Personen und weitere Geschlechter mit einem Penis. Davon alle, die sich meistens in der Rolle „Mann“ verhalten.

Erweiterbar auf: Alle sexuellen und romantischen Orientierungen
Alle Menschen in der Rolle „Frau“
Das Verhalten zeigen nicht nur Hetero-Frauen, sondern auch lesbische und Bi-Frauen, solange sie sich in der Rolle „Frau“ verhalten. Genauso kommt es bei Männern und weiteren Geschlechtern in der Rolle „Frau“ vor.