Wie funktioniert gesunde Polyamorie? – Teil 3/4: Primärmotivierte Polyamorie
- Ist im Flowchart herausgekommen, dass Polyamorie wahrscheinlich ein primärmotivierter Wunsch von dir ist?
- Oder bist du einfach neugierig, wie primärmotivierte Polyamorie aussieht?
In beiden Fällen bekommst du hier dazu mehr Information.
Meiner Erfahrung nach gibt es bisher genau drei Hintergründe, aus denen ein primärmotivierter Wunsch nach Polyamorie entstehen kann – die dann alle Grundlagen erfüllt, um gesund und langfristig zu funktionieren.
Verschiedene Bedürfnisse an Nähe:
Innerhalb einer bestehenden Zweierbeziehung benötigt Mensch B mehr liebevolle Nähe als Mensch A. Mensch B wünscht sich daher eine Liebesbeziehung zu einem zusätzlichen Menschen.
Der Grund für diese Unausgeglichenheit muss allerdings an einem durch Verhandlung unveränderbaren Zustand liegen – z. B.:
- Wenn Mensch A sich am autistischen Spektrum befindet, Mensch B aber neurotypisch funktioniert,
- Wenn Mensch A die Selbstverwirklichung im Beruf findet, während Mensch B besonders viel Freizeit hat. Diese spezielle Situation ist allerdings verwundbar: Nehmen wir an, Mensch A entscheidet sich eines Tages dafür, ebenso viel Freizeit wie Mensch B zu haben. Daraus kann dann ein größeres Bedürfnis nach Nähe als bisher entstehen, das wiederum Mensch A dann nicht erwidern kann, da dessen Bedürfnis bereits von einer Beziehung mit Mensch C abgedeckt wird.
Fortgeschrittene persönliche Weiterentwicklung:
Ein Mensch lebt in einer liebevollen, energiegebenden Zweierbeziehung. Allerdings möchte und kann dieser Mensch auf der Ebene Liebe mehr geben, als die bestehende Liebesbeziehung braucht, um schön und energiegebend zu funktionieren. Dieser Wunsch ist nur konstruktiv, wenn:
- sich dahinter keine Sekundärmotivationen verstecken (wie der Wunsch nach mehr Sex – dazu braucht es keine weitere Beziehung),
- Der Wunsch nicht aus einem Mangel heraus erfolgt (wie ein Defizit an Nähe in der Ursprungsbeziehung – dazu braucht es mehr Beziehungsarbeit),
- die Zeit, Energie und Nähe der Ursprungsbeziehung erhalten bleiben,
- alle Beteiligten (auch der neue Mensch!) ein aktives Interesse an Selbsterfahrung und persönlicher Weiterentwicklung haben, welche durch die höhere Komplexität als zu zweit automatisch angestoßen wird,
- kein Poly-Zeitproblem wegen zu hoher Komplexität entsteht.
Das war der Hauptbeweggrund für meinen Lebensgefährten Nemo, eine weitere Hetero-Beziehung zusätzlich zu seiner Ursprungsbeziehung mit Maitri anzustreben.
Die romantische / amore Orientierung:
Ein Mensch ist biamor (und damit automatisch auch bisexuell) und wünscht sich jeweils eine Liebesbeziehung mit beiden binären Geschlechtern (Frau und Mann).
Diese Motivation, polyamor zu leben, tritt allerdings fast immer in Kombination mit den obigen Gründen (Verschiedene Bedürfnisse an Nähe oder Fortgeschrittene persönliche Weiterentwicklung) auf. Schließlich gibt es genug Menschen, die klar biamor sind, die sich aber keine höhere Komplexität im Beziehungsleben als die einer Zweierbeziehung wünschen.
Das ist mein persönlicher Beweggrund: Nach der Entfernung einiger Sekundärmotivationen kam bei mir meine romantische Orientierung parallel mit einem Wunsch nach persönlicher Weiterentwicklung als Primärmotivation für Polyamorie zum Vorschein. Bei meiner Lebensgefährtin Maitri stehen ebenfalls diese beiden Gründe hinter ihrer Entscheidung für unsere Triade.
Hinweis:
Alle anderen Beweggründe oder Begründungen für Polyamorie von Menschen, mit denen ich persönlich Kontakt hatte, stellten sich nach Anwendung der Wozu-Fragenkaskade als Sekundärmotivationen – also keine gute Idee – heraus. Sollte ich ein neues Konzept kennenlernen, das nach Anwendung der Fragenkaskade auf einer Primärmotivation aufbaut, nehme ich es gerne in die obige Liste über die Primärmotivationen für Polyamorie auf. Bisher ist das aber noch nicht passiert.