Seriell-parallele Polyamorie – Teil 1/2: Der miauende Hund oder: Ohne dich kann ich nicht sein – mit dir bin ich auch allein.
Ein Mensch, der „poly ist“, betreibt mehrere Verliebtheiten gleichzeitig und teilt die eigene Zeit unter diesen auf. Da aber immer wieder (üblicherweise mit einem Abstand von mehreren Monaten) eine neue Verliebtheit an das Beziehungsgeflecht angehängt wird, bleibt für die chronologisch älteren Verliebtheiten irgendwann nicht mehr genug Zeit und Platz, um die tiefe Nähe einer ernstgemeinten Liebesbeziehung aufrechtzuerhalten.
Da es für die daraus entstehenden Dynamiken noch keine eigenen Bezeichnungen gibt, haben mein Lebensgefährte Nemo und ich eigene erfunden:
- der miauende Hund und
- der seriell-parallele Durchlauferhitzer.
Oftmals hat die chronologisch ältere Beziehung keine Vereinbarungen, wann und wie Zeit miteinander verbracht wird: „Wir sehen uns eh“. An diese flexible Situation des Ursprungspaares wird nun eine neue Verliebtheit anhängt. Dadurch, dass der neue Mensch ebenfalls Zeit benötigt, verbringen die Beteiligten des Ursprungspaares schlagartig weniger Zeit miteinander, oder sind in einem gemeinsamen Haushalt einfach „weniger da“. Die gemeinsame Nähe sinkt so von der tiefen Nähe einer Liebesbeziehung graduell auf die Nähe einer entfernten Bekanntschaft mit Sex. Dadurch wird die chronologisch ältere Beziehung zum miauenden Hund.
Die Beteiligten sehen ihre Verbindung allerdings immer noch als „Beziehung“, oder sich selbst als „Paar“. Bei genauerem Hinsehen haben aber die gegenseitigen Wünsche und Handlungen nicht mehr viel damit zu tun. So kann einem Menschen in einer solchen „Liebesbeziehung“ dann passieren, dass er_sie krank ist, oder emotionale Unterstützung benötigt, und dazu verständlicherweise Hilfe in der Beziehung sucht. Das angeblich verliebte Gegenüber bevorzugt es jedoch, Zeit mit der neuen Verliebtheit zu verbringen, anstatt sich um den Menschen in der Ursprungsbeziehung zu kümmern. Die Katze wird also mit „Hund“ angesprochen, miaut aber trotzdem, anstatt zu bellen.
Der nicht mehr erfüllbare Beziehungswunsch erzeugt zutiefst frustrierte Menschen, welche dann destruktive Konflikte ausfahren. Dies ist ein Erkennungsmerkmal eines instabilen Zwischenzustands auf der Näheskala, ähnlich dem einer Nebenbeziehung.
Der miauende Hund besteht solange, wie die Beteiligten Worte und Handlungen der Ebene 6 der Näheskala trotzdem verwenden. Dazu gehört bei der Beziehungsform die private Bezeichnung als „Beziehung“, oder als erkennbares „Paar“ zu öffentlichen Anlässen aufzutreten. Bei den Handlungen natürlich romantische Nähehandlungen (Küssen, Kuscheln, Miteinander einschlafen). Alle diese Verhaltensweisen befeuern im Unbewussten die Sehnsucht nach der tiefen Nähe einer Liebesbeziehung mit dem betreffenden Menschen weiter. Wie Tantalos hat ein Mensch, der in einem miauenden Hund lebt, ständig die Hoffnung auf eine Liebesbeziehung vor Augen, welche aber, sobald er_sie diese leben will, auf ein (zeitlich und emotional) kaum anwesendes, kaltes Gegenüber trifft.