Rape Culture – Teil 2/3: Der Unterschied zwischen Victimblaming und toxischer Weiblichkeit

Menschen, die überwiegend oder ganz Eigenschaften der sozialen Rolle „Frau“ leben, geraten in einer Rape Culture in eine Opferrolle. Das wird durch mehrere Strategien erreicht – die bekannteste davon ist, die Schuld an Übergriffen im Verhalten oder Aussehen des Menschen in der Rolle „Frau“ zu suchen. Diese Denkweise wird victim blaming (engl. für „falsche Beschuldigung des Opfers“) genannt, die ein zentrales Erkennungsmerkmal von Rape Culture ausmacht.

Ein typisches Erscheinungsbild von victim blaming ist der angebliche Zusammenhang zwischen der Länge des Rocks und der sexuellen Verfügbarkeit einer Frau. Die Künstlerin Rosea Posey stellt die Absurdität dieses Zusammenhangs im obigen Bild anschaulich dar: Alle Formulierungen verweigern der Frau Selbstbestimmung über ihren Körper. „Asking for it“ im Sinn von „einen Übergriff provozieren“ rechtfertigt Gewalt, sobald die Frau „zu wenig“ Kleidung trägt, während Begriffe wie „prudish“ (engl. für „prüde“) ausdrücken, dass sie „zu viel“ Kleidung trägt. Beide Behauptungen können durch Nachfragen als Ausrede für einen Übergriff entlarvt werden: „Zu wenig“ oder „zu viel“ für wen oder was?

Während die Länge des Rocks sehr wohl ausdrücken kann, ob der tragende Mensch mehr oder weniger Lust auf Sex hat, gibt es deswegen keine „sexuelle Verfügbarkeit“. Ein Gegenstand kann verfügbar sein, denn ihm ist es egal, ob er gerade benutzt wird oder nicht. Ein Mensch hingegen kann niemals verfügbar sein, denn er_sie hat einen eigenen Willen. Eine Unterscheidung zwischen beiden Situationen ist nur durch Zustimmung, also Konsens,  bei allen zwischenmenschlichen Handlungen (also auch beim Sex) möglich. Ist kein Konsens von allen Beteiligten vorhanden, begeht der_die Täter_in automatisch Gewalt, also eine kriminelle, strafbare Handlung!

Beispiele:

Eine Frau spaziert in der Nacht im Minirock alleine durch die Straßen einer Großstadt. Von Menschen aus dem polizeilichen Umfeld kommen immer wieder Warnungen, als Frau genau dieses Verhalten nicht zu zeigen und sich lieber bedeckender anzuziehen.

Dieser Rat ist zweischneidig:

Aus einer ethischen Sicht ist er falsch: Egal wie sich eine Frau verhält oder kleidet, Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist ein Menschenrecht. Die Schuld an einem Übergriff trägt immer der Täter, nie das Opfer. Als Begründung für einen sexuellen Übergriff Verhaltensweisen der Frau aufzuzählen ist daher immer eine Ausrede des Täters, nichts sonst.

Aus einer pragmatischen Sicht ist er jedoch richtig: Denn in einer patriarchalen Gesellschaft wie der eurozentrischen/westlichen werden Frauen, die sich freizügig anziehen, eher belästigt, als Frauen, die das nicht tun. Eine Frau, die sich aufgrund einer Warnung bedeckend kleidet, reduziert damit die Gefahr, übergriffig behandelt zu werden.

Mein Argument ist nämlich nicht, dass eigentlich alle Menschen gut wären und fair spielen würden, wenn nur Frauen ihre Sexualität entblockieren würden. Die Menschheit wird immer Soziopathen und Arschlöcher beinhalten. Das zeigt sich alleine daraus, dass 80% aller Verbrechen von 20% der Gesamtbevölkerung (Wiederholungstäter_innen) begangen werden. Nun können Menschen beim Erwachen ihrer Sexualität bereits zu diesen 20% gehören oder durch Enttäuschungen innerhalb der Arschloch-Dynamik im Laufe ihres Lebens zu Arschlöchern werden. Die persönliche Geschichte ist jedoch, sobald ein Mensch zu einem Arschloch geworden ist, egal. Denn alle Menschen sind, sobald sie erwachsen sind, zu 100% selbst dafür verantwortlich, ihre Mitmenschen mit Konsens und Fairness zu behandeln und für ein solidarisches Miteinander zu sorgen.

Alle Arschlöcher werden bei Gelegenheit Täter_innen. Diese ergibt sich, sobald ein verletzbarer Mensch in Reichweite ist, dier dem Arschloch wehrlos genug erscheint. Das gilt für alle psychischen und physischen Gewalttaten.

Typisch für Rape Culture ist allerdings das folgende Verhalten: Wenn gerade kein verletzbarer Mensch in der Nähe ist, neigen Täter_innen dazu, die benötigte Rolle „Frau“ auf alles zu projizieren, das nicht klar der Rolle „Mann“ zuordenbar ist. Aus diesem Grund gehen Täter_innen oft auf „typische“ Frauen (weil diese leicht als Rolle „Frau“ zu erkennen sind) oder Menschen, die sich nicht „angemessen“ anziehen oder verhalten, wie feminine Männer (Sie wissen nicht, was „es“ ist, aber definitiv nicht Rolle „Mann“). So kann die Projektion dann auch Menschen treffen, die die Rolle „Frau“ nie eingenommen haben (und lediglich danach aussehen) oder sogar bewusst gegen die patriarchale Lüge arbeiten.

Wenn nun Frauen ihre Sexualität mit allen passenden, im Konsens und fair handelnden Resonanzmenschen ausleben würden, gäbe es unabhängig davon immer noch genug Arschlöcher, Nötiger und Vergewaltiger auf der Welt. Und es wäre als Frau immer noch unbedingt erforderlich, diese Menschen abzuweisen, dem Rechtsstaat zu melden, oder Notwehr zu leisten. Lediglich die exponentielle Dynamik, die aus ursprünglich Konsens wahrenden und fairen Menschen durch Enttäuschung immer mehr Arschlöcher werden lässt, wäre durch eine aktive weibliche Sexualität durchbrochen. Langfristig würde sich die weltweite Bevölkerung dann auf einen konstanten Anteil Arschlöcher einpendeln (eben jene 20% plus Standardabweichung), um die sich ein funktionierender Rechtsstaat kümmern muss.