Sex und Liebe: Der große Unterschied!

Die beiden stärksten inneren Kräfte in jedem Menschen sind einerseits Sex und andererseits Liebe.

Werden diese Kräfte bewusst genutzt, kann die jeweilige Person authentisch ein energiereiches und glückliches Leben führen. Werden diese Kräfte von der jeweiligen Person nicht genutzt, staut sich die Energie im Unbewussten und befeuert von dort „das Böse“ im Menschen: Kriminalität, Unterdrückung, Diskriminierung, usw.

Die meisten Menschen wissen nichts über diesen Zusammenhang. Dennoch hat es über die Weltgeschichte verteilt immer wieder spirituelle Gruppen, Kleingesellschaften und Minderheiten gegeben, die von diesem Sachverhalt wussten und ihn ganz bewusst für ihre Zwecke eingesetzt haben – sowohl im Guten als auch im Bösen. So ist Tantra eine Praxis, die – wenn richtig angewandt (!) – die sexuelle Energie zur persönlichen und spirituellen Weiterentwicklung nutzt.

Um die erwähnte Energie konstruktiv (also im Guten) für das eigene Wohlbefinden zu nutzen, muss erst einmal verstanden werden, wie ihre beiden Grundpfeiler Sex und Liebe funktionieren.

Die heutigen Mehrheitsgesellschaften (die eurozentrische/westliche, die muslimische und die russisch/asiatische) versagen mit ihren Bildungsystemen angesichts dieser Aufgabe kläglich:

  • Sexualaufklärung ist bis heute inhaltlich unvollständig.
  • Psychologisch qualifizierte Lehrer_innen und Pädagog_innen sind Mangelware.
  • Noch schlimmer sieht es die Liebe betreffend aus:
    Wie gemeinsam eine glückliche Liebesbeziehung erreicht werden kann, „weiß doch eh jede_r selbst“. Zeitschriften oder Sendungen geben zwar Tipps, diese haben jedoch den Verkauf eines Produkts und keinen glücklichen Menschen zum Ziel.

Hier setzt mein Blog an – ich möchte mit meinen Artikeln einen Leitfaden liefern, damit möglichst viele Menschen ihre unterdrückte Energie konstruktiv freisetzen und für Wohlbefinden und, wenn gewünscht, persönliche Weiterentwicklung nutzen können.

Lust ist nicht gleich Liebe

Als ersten Schritt ist es essentiell, einerseits sexuelle Wünsche und andererseits den Wunsch nach Liebe klar auseinander zu halten. Denn eine Eigenheit der erwähnten Mehrheitsgesellschaften ist, diese beiden Bedürfnisse ineinander zu mischen, was zu unfassbaren Verwirrungen und Schwurbeln führt.

Beispiele dafür sind:

  • Probleme bei der Verständigung in Liebesbeziehungen und Freundschaften
  • Beginn und langfristige Aufrechterhaltung von sexuell offenen Beziehungen
  • Logische Sackgassen in der Philosophie alternativer Szenen
  • Das Patriarchat! *dom dom dom dooom*

Richtig gelesen, das Patriarchat entsteht an seiner tiefsten Wurzel aus der Verwechslung von Sex und Liebe. Und genau dort müssen wir ansetzen, um es auszuheben.

Bei dem Bedürfnis nach Sex und nach Liebe handelt es sich nämlich überhaupt nicht um dasselbe Bedürfnis. Natürlich können beide Bedürfnisse gleichzeitig vorhanden sein, z. B. wenn ich in einer Liebesbeziehung auf mein Gegenüber geil bin. Generell handelt es sich aber um zwei verschiedene Stufen der möglichen sozialen Nähe zwischen Menschen.

Die Ebene Liebe beinhaltet Verliebtheit, Beziehungswunsch, Partnerschaftsleben, und Liebe.
Die Ebene Lust beinhaltet geilen, erfüllten Sex zum Spaß mit passenden Menschen. Das schließt Liebesbeziehungen natürlich mit ein, aber eben nicht ausschließlich. Geiler Sex ist zwischen allen Menschen möglich, die:

  • eine menschliche Grundhygiene haben,
  • sich gegenseitig attraktiv und sympathisch genug finden,
  • gegenseitig Konsens einholen,
  • und fair miteinander umgehen.
Sprache schafft Wirklichkeit(en)

Um zu jeder Zeit beide Ebenen klar unterscheiden zu können, habe ich eine eigene Nomenklatur entwickelt. Ich erkläre sie im Folgenden an meiner eigenen Orientierung: Ich fühle mich zu Frauen und Männern hingezogen. Am meisten verbreitete Begriffe dafür sind bi sein oder eine Bi-Neigung haben.

In meiner Einteilung gibt es nun einerseits biamor und andererseits bisexuell.

  • biamor (oder auch: biromantisch) bedeutet, Verliebtheit und/oder einen Beziehungswunsch an Menschen verschiedenen Geschlechts richten zu können.
  • bisexuell bedeutet, sich rein körperlich zu Menschen verschiedenen Geschlechts hingezogen zu fühlen. Oder deutlicher: Sich geilen Sex mit Menschen verschiedenen Geschlechts zu wünschen.

Biamor bedeutet immer automatisch auch bisexuell. Das hat den Hintergrund, dass Sex zu den solidarischen Bedürfnissen zählt. Die Grundlage und Motivation eines solidarischen Bedürfnisses ist:

Ich teile etwas mit dir, und dafür teilst du (jetzt oder später) etwas mit mir.

Dies ist die zentrale Formulierung der Ebene Lust zwischen Menschen. Aus diesem Grund enthält die Ebene Lust nicht nur Sex, sondern alle solidarischen Bedürfnisse. Gut zu beobachten ist dieser Zusammenhang auf jedem Festival und jeder ausgelassenen Party: Menschen teilen gute Laune, Getränke, Essen, und Gegenstände. Im Laufe des Abends dann auch Berührungen (etwa beim Tanzen), und schließlich Sex.

Nun ist Solidarität, Hilfsbereitschaft, und Vertrauen eine Voraussetzung jeder gesunden Liebesbeziehung. Das gilt jedoch nicht umgekehrt: Denn für Solidarität, Hilfsbereitschaft und Vertrauen zwischen Menschen ist es nicht notwendig, dass die Beteiligten verliebt, oder in einer Liebesbeziehung sind.

Aber was ist mit asexuellen Menschen?

Sex ist unter den solidarischen Bedürfnissen das evolutionär älteste. Daher tritt es bei allen Menschen, die sexuelle Anziehung und/oder Fantasien kennen, als das erste solidarische Bedürfnis auf. Wie oben erwähnt, ist Sex jedoch nicht das einzige solidarische Bedürfnis. Asexuelle Menschen, welche keine sexuelle Regung in welcher Form auch immer gegenüber anderen Menschen spüren, haben daher immer noch eine Ebene Lust. Diese hat jedoch weniger Ausdrucksmöglichkeiten, und tritt daher in Form von anderen solidarischen Bedürfnissen auf.

Diesen Hinweis schreibe ich der Übersicht halber nur einmal. Falls du ein asexueller Mensch bist, denk ihn dir dazu, sobald ich diesen Punkt wieder verwende.

Die Ebene Liebe beinhaltet also immer die Ebene Lust. Die Ebene Lust funktioniert aber genauso auch ohne die Ebene Liebe.

Daraus ergeben sich Kombinationen für alle Orientierungen:

  • Heteroamor und heterosexuell: Jemand kann sexuelle Fantasien und Verliebtheit/Beziehungswunsch nur mit dem gegensätzlichen Geschlecht leben.
  • Homoamor und homosexuell: Jemand kann sexuelle Fantasien und Verliebtheit/Beziehungswunsch nur mit dem gleichen Geschlecht leben.
  • Homoamor und bisexuell: Jemand kann Verliebtheit/Beziehungswunsch nur mit dem gleichen Geschlecht, sexuelle Fantasien aber sowohl mit dem gleichen als auch mit dem gegensätzlichen Geschlecht leben.
  • Heteroamor und bisexuell: Jemand kann Verliebtheit/Beziehungswunsch nur mit dem gegensätzlichen Geschlecht, sexuelle Fantasien aber sowohl mit dem gegensätzlichen als auch mit dem gleichen Geschlecht leben.

Usw.

Schwul und lesbisch verstehe ich als homoamor, da die meisten Menschen diese Begriffe auf Verliebtheit, Beziehungswunsch, Partnerschaftsleben, Liebe anwenden. Um schwul oder lesbisch als ausschließliche Bezeichnung auf der Ebene Lust anzuwenden, muss das durch Anhang eines Nomens ausgedrückt werden: Lesbischer Sex, schwuler Verkehr, usw.

Es geht aber noch weiter: Beide Ebenen sind mit unterschiedlichen Handlungen verknüpft.

Lusthandlungen sind nicht gleich Liebeshandlungen

So gibt es Nähehandlungen / romantische Handlungen (Kuscheln, Zärtlich-Streicheln, Knutschen, Küssen) auf der Ebene Liebe. Und erotische / sexuelle Handlungen (Anfassen, sich-gegenseitig-antörnen, genitale Stimulation) auf der Ebene Lust.

Der Unterschied zwischen diesen Handlungen lässt sich anhand einer Frage veranschaulichen, die ich mir früher selbst gestellt habe:

Es gibt doch Küsse, die geil machen? Das passt nicht in die Trennung zwischen romantischen und sexuellen Handlungen.

Doch, das passt:

Hunger und Durst sind verschiedene Bedürfnisse. Dennoch nehmen viele Menschen zum Essen ein Getränk. Damit gibt es kein Problem, solange dieser Mensch Durst und Hunger hat. Einem verdurstenden Menschen, der gerade aus der Wüste kommt, wird jedoch ein Stück Brot nichts helfen. Umgekehrt wird ein Mensch, der am Verhungern ist, ein Getränk zwar annehmen, um wenigstens irgendetwas im Magen zu haben, seinen Hunger stillen wird es jedoch nicht.

Wenn Menschen, die ineinander verliebt sind/miteinander in einer Liebesbeziehung sind, Nähehandlungen (Küssen, Kuscheln, Streicheln) gleichzeitig zum Sex austauschen – kein Problem: Beide Ebenen sind aktiv, zwei positive Reize ergänzen einander.

Wenn Verliebtheit/Beziehungswunsch/Partnerschaftsleben/Liebe aber nicht vorhanden sind, dann transportiert ein Kuss, eine liebe Streichelgeste oder Kuscheln eine Handlung ohne Botschaft, wo eine sein sollte. Diese Handlung ist also „leer“, wie eine Verpackung ohne Inhalt. Das bleibt nicht ohne Nebenwirkungen: Eine solche „leere“ Nähehandlung erzeugt sowohl im Menschen, der sie macht, als auch in dem Menschen, der sie empfängt, den unbewussten Wunsch, diese Handlung zu „füllen“ – also den Wunsch nach einer gemeinsamen Verliebtheit/Liebesbeziehung.

Der Gefühlskater

Viele Menschen erleben nach einem einmaligen sexuellen Erlebnis mit einem neuen Menschen einen „Gefühlskater“ – einen traurigen Tag, eine Stimmung, dass „etwas fehlt“, oder einfach schlechte Laune. Dieser ist entgegen populären Überzeugungen keine Bestätigung dafür, dass Sex ohne Verliebtheit oder Liebe „minderwertig“ oder „falsch“ wäre. Stattdessen ist die Reaktion eine Folge davon, dass der Sex gleichzeitig mit Nähehandlungen (Knutschen, Schmusen, Kuscheln, etc.) stattfand. Die Nähehandlungen haben unbewusst eine Sehnsucht nach einer gemeinsamen Ebene Liebe aktiviert. Da der Mensch nach dem Erlebnis wieder weg ist, wurde diese Sehnsucht nicht erfüllt, was Frustration, Angst (wieder alleine zu sein), oder Traurigkeit auslösen kann.

Treffen sich dieselben Menschen regelmäßig und haben Sex mit Nähehandlungen miteinander, schafft dies das perfekte Rezept, damit sich diese Menschen ineinander verlieben. Wenn das ohnehin von allen Beteiligten angestrebt wird – kein Problem. Wenn hingegen von beiden/allen Seiten nur Sex zum Spaß gewünscht ist, sollten romantische Handlungen völlig weggelassen werden. Ohne diese Maßnahme wird die Verbindung nämlich unter Garantie zu Drama und emotionalen Verletzungen führen.

Das umgekehrte Problem gibt es jedoch auch: So wird ein Mensch, der gemeinsam mit einem Gegenüber sexuelle Bedürfnisse ausleben möchte, verärgert und frustriert zurückbleiben, wenn er_sie stattdessen Kuscheleinheiten und liebevolle Gespräche bekam. Durch die Kuscheleinheiten kam es zwar zu erotischem Körperkontakt – wie das Getränk beim verhungernden Menschen – der Großteil der sexuellen Bedürfnisse blieb jedoch im wahrsten Sinne des Wortes unbefriedigt.

Patriarchale Ver(w)irrungen

Praktischerweise ist der Unterschied zwischen sexuellen Handlungen und romantischen Handlungen im „Bauchgefühl“ der meisten Menschen einprogrammiert. Allerdings unterdrücken in patriarchalen Gesellschaften zahlreiche Mechanismen vom Kleinkindalter an die Entfaltung dieses Bauchgefühls. Die meisten Menschen hören dann aus Prinzip nicht mehr auf die Signale ihres Körpers oder noch schlimmer, sind in sich selbst von diesen wie unter Wasser abgeschirmt. Dieser Gefühlszustand wird als Dissoziation bezeichnet.

Den Gegensatz zwischen diesem erwähnten „Bauchgefühl“ und den etablierten patriarchalen Umgangsformen verdeutlicht folgendes Beispiel, das ich so oder so ähnlich sehr oft im Internet gelesen habe.

Ein Mann schreibt in einem Forum für Homo- und Bisexualität, Nacherzählung:

„Ich habe die Fantasie, mal mit einem anderen Schwanz als meinem eigenen zu spielen. Ich bin hetero, genieße Sex mit Frauen, aber diese Fantasie lässt mir keine Ruhe. Aber, müsste ich den dazugehörigen Mann dann auch küssen? Denn davor graust mir, das möchte ich nicht. Könnt ihr mir helfen?“

Meine Antwort: Der Körper jenes Mannes sendet ganz genau, was er sich wünscht. Wird kein Unterschied zwischen Handlungen auf der Ebene Liebe und der Ebene Lust gemacht, können die Signale nicht mehr richtig gedeutet werden. Das führt genau zu der Verwirrung, die dieser Mann äußert.

Werden seine Handlungen hingegen in romantische Handlungen und sexuelle Handlungen getrennt, macht seine Anfrage völlig Sinn: Offensichtlich ist er heteroamor, aber bisexuell. Mit dieser Vorlage kann er sich nun Menschen suchen, die seine Vorlieben teilen. Und so sein Bedürfnis nach Erotik und geilem Sex mit einem anderen Mann ohne Störfaktoren ausleben.