Yin und Yang: Grundlagen – Teil 2/5: Was hat das mit Sex zu tun?

Um diese Frage zu beantworten, brauchen wir einen Abstecher in die Geschichte der Evolution:

Die ursprünglichen Lebensformen wie Bakterien, Einzeller und frühe Pflanzen hatten noch keinen Sex. Sie hätten auch keinen haben können, denn das Konzept gab es noch gar nicht. Fortpflanzung funktioniert bei diesen Lebewesen auf eine andere Weise: asexuell, also durch Teilung. Das bedeutet, dass ein Lebewesen zuerst alle Teile von sich kopiert, diese dann zusammenbaut und schließlich als ein weiteres Lebewesen in die Umwelt entlässt. Das Ergebnis sind zwei exakt gleiche Lebewesen, die sich, wenn überhaupt, in nur wenigen Merkmalen unterscheiden – wie eineiige Zwillinge. Der Vorteil dieser Methode ist der relativ geringe Energieaufwand. Der Nachteil ist allerdings groß: Denn fast identische Lebewesen haben alle auch sehr ähnliche bis identische Schwachstellen. Ein Fressfeind, Parasit oder ein Virus kann also eine ganze Spezies über die gleiche Schwachstelle befallen, töten und im äußersten Fall ausrotten.

Um dies zu verhindern, entwickelte sich im Laufe der Evolution die sexuelle Fortpflanzung, also Sex. Spätere Pflanzen, Pilze und Tiere begannen, ihre für die Fortpflanzung benötigten Merkmale innerhalb kompatibler Lebewesen auf zwei Formen aufzuteilen: weiblich und männlich. Die eine Hälfte der Information für ein neues Lebewesen ist in der weiblichen Form gespeichert, die andere Hälfte in der männlichen. Der Vorteil dieser Methode ist ein ganz entscheidender: Wenn beide Hälften der Information getrennt sind und erst später aufeinandertreffen, können sie durchgewürfelt werden, durch einen Prozess namens homologe Rekombination der Chromosomen. Im Wesentlichen ist das so, wie zwei verschiedenfarbige Haufen Sand in einen Kübel zu leeren, und solange umzurühren, bis der Inhalt in etwa gleich durchgemischt aussieht. Heraus kommt jedes Mal ein einzigartiges Lebewesen, mit individuellen Stärken und Schwachstellen. Dadurch müssen Fressfeinde, Parasiten und Viren immer wieder neue Strategien finden, was den angepeilten Lebewesen wiederum Zeit gibt, neue Abwehrmechanismen zu entwickeln, usw. In der gleichen Weise wie bei Fressfeinden haben die jeweiligen Lebensformen außerdem Möglichkeiten, sich an veränderte Umweltbedingungen (wie einem Klimawandel oder einer Naturkatastrophe) anzupassen, und können so besser überleben. Der Nachteil der neuen Fortpflanzungsmethode ist allerdings der höhere Energieaufwand: Da sich die beiden Informationshälften jetzt an getrennten Orten befinden, muss eine die andere zur richtigen Zeit finden, und auf dem Weg eventuelle Hindernisse überwinden. Die andere Hälfte wiederum muss die fehlende Hälfte empfangen und dann das gesamte Paket heranreifen lassen, bis daraus ein überlebensfähiges neues Lebewesen entstanden ist.

Diese Aufgabenteilung ist bereits eine Formulierung von Yin und Yang:

  • Yin entspricht der weiblichen Hälfte, ist also das (die Informationshälfte) aufnehmende und (in ein Lebewesen) wandelnde Prinzip
  • Yang entspricht der männlichen Hälfte, ist also das (die Informationshälfte) gebende und (Leben) anstoßende Prinzip