Im Mainstream – Teil 2/6: Wir sind monogam!

Innerhalb des Mainstreams ist monogam ein allgegenwärtiges Schlagwort. Es wird als Aussage über die eigene Identität gebraucht:

„Ich bin monogam“.

Etymologisch besteht monogam aus mono (altgr. eins) und gam (altgr. Sexualpartner). Davon kommt auch Gameten, der Fachbegriff für Keimzellen, also Ei- und Samenzellen. Im eigentlichen Wortsinn sollte monogam also „einen einzigen Sexualpartner habend“ bedeuten. Das stimmt aber schon im Tierreich nicht. So gehen Vögel, die sich zum Brüten einen lebenslangen Partner suchen, ein paar Mal im Jahr sexuell fremd (Männchen und Weibchen!), werden aber trotz dieses Paarungsverhaltens als „monogame Tiere“ bezeichnet und oftmals als Vorbild für eine monogame Liebesbeziehung zwischen Menschen zitiert.

Unter Menschen wird es sogar noch ungenauer. Je nachdem, welche Person gefragt wird, kann monogam verschiedene Bedeutungen haben:

  • Sex nur mit einem Menschen zu wollen
  • Eine Liebesbeziehung nur mit einem Menschen zu wollen
  • In einer Liebesbeziehung nur Sex mit diesem einen Menschen zu wollen

Die meisten Menschen verstehen heute unter Monogamie den dritten Punkt: in einer Liebesbeziehung keinen Sex mit anderen Menschen als dem_der Beziehungspartner_in zu wollen. Allerdings entspricht dies nicht der Natur der meisten Menschen, sondern ist eine falsche Idee des Mainstreams.

Ob eine Idee falsch ist, ist daran ersichtlich, ob sich beim Aufeinandertreffen der Idee und ihrer Umsetzung in der Wirklichkeit Widersprüche finden lassen. In diesem Fall werden wir schnell fündig: Heimliche sexuelle Affären oder Trennungen aufgrund von Fremdgehen (= Sex mit jemand Anderem als dem Menschen in Liebesbeziehung zu haben) sind tief in das kollektive Gedächtnis der eurozentrischen/westlichen Gesellschaft eingegraben: Sowohl jahrhundertealte Geschichten als auch die moderne Popkultur greifen diese immer wieder auf. Daraus ist also ableitbar, dass die meisten Menschen, egal ob Frau, Mann oder weiteres Geschlecht, sehr wohl das Bedürfnis haben, nicht nur mit dem Menschen in ihrer Liebesbeziehung, sondern auch mit anderen Menschen außerhalb davon Sex zu haben.

Dass hier etwas gewaltig nicht zusammenpasst, zeigt sich allerdings nicht nur in der Tatsache, dass Menschen überhaupt fremdgehen, sondern auch im Versuch, Verhaltensweisen in monogam und nicht-monogam einzuteilen:

Beispiele:

Ein Hetero-Pärchen, das sich selbst als „monogam“ sieht, ist gemeinsam mit seinem besten Hetero-Freund auf Urlaub und sitzt zu dritt am Strand. Der beste Freund cremt der Frau des Pärchens den Rücken mit Sonnenschutz ein.

Wo ist nun die Grenze zum „Fremdgehen“?

  • Eine gute Rückenmassage, die beide ein bisschen antörnt?
  • Ein Gespräch, wo miteinander geflirtet wird?
  • Wenn sie ihr Bikini-Top auszieht und er ihre Brüste ebenso mit eincremt?
  • Wenn alle FKK sind und das gegenseitig antörnend finden, sodass eine kurze sexuelle Stimmung entsteht, wo beide Männer eine sichtbare Erektion bekommen?

Jedes Pärchen hat dazu seine eigene Meinung und, im Idealfall, Spielregeln: Für manche ist bereits Flirten mit anderen attraktiven Menschen eine Todsünde, andere ziehen nur bei Sex mit einem Menschen außerhalb der Beziehung eine Grenze. Dabei beginnt der Sex für manche beim Gegenseitig-anfassen, für andere „gelten“ erst Handlungen an den Geschlechtsorganen, und wiederum andere bezeichnen ausschließlich Penis-in-Scheide-Geschlechtsverkehr als Sex (Lesben haben ja bekanntlich keinen Sex).

Das Wort monogam, wie es im Alltag verwendet wird, ist also vieldeutig, und ergibt daher keinen Sinn:

  • Entweder ist es schwammig definiert: Jedes Pärchen macht sich seine konkrete Bedeutung neu aus. Als Folge davon verstehen sich verschiedene Pärchen gegenseitig nicht, wenn sie den Begriff monogam verwenden. Und tatsächlich kann eine ernsthafte Diskussion über die Frage, was denn nun wirklich monogam sei, eine abendfüllende Streitdiskussion produzieren, und sogar einen Freundeskreis spalten.
  • Oder es ist ganz einfach falsch: Denn die Definition, die die meisten verstehen, nämlich in einer Liebesbeziehung nur Sex mit diesem einen Menschen zu wollen, ist eine falsche Idee über die Menschheit.

Diese falsche Idee nenne ich die monogame Lüge.