Eine Geschichte der Unterdrückung – Teil 1/2: Warum ziehen Frauen im Patriarchat die Arschkarte?

Um diese Frage zu beantworten, brauchen wir erst ein bisschen Menschheitsgeschichte:

Denn die Menschheit durchlief vor ungefähr zehntausend Jahren die Agrarrevolution – die gesellschaftliche Umwandlung von nomadischen Jäger- und Sammlerkulturen zu sesshaften Agrarkulturen.

Aus den wenigen bis vor Jahrzehnten noch aktiven Jäger- und Sammlerkulturen, die an abgeschiedenen Orten des Planeten überlebt haben, konnte die Sozialanthropologie herleiten, wie die Mehrheit der Menschheit wohl vor der Agrarrevolution gelebt haben muss:

Als gesicherte Merkmale einer Jäger- und Sammlerkultur gelten:

  • Menschen in Gruppen von maximal mehreren Dutzend Individuen
  • Hierarchien in der Gruppe relativ flach: Alle erwachsenen Menschen könnten im Notfall alleine in der Wildnis überleben
  • Kinder und Alte werden von allen gemeinsam versorgt und unterstützt

Dann kam die Agrarrevolution:

Der organisierte Anbau der Hauptnahrungsmittel an einem bestimmten Ort stellte mehr Nahrung als zuvor zur Verfügung. Das ermöglichte Bevölkerungswachstum und mehr Innovation bei technischen Weiterentwicklungen. Um die Versorgung mit dieser Nahrung sicherzustellen, brauchten die Menschen aber ein straffes System mit mehreren Hierarchiestufen, um die dazu benötigten Aufgaben bewerkstelligen zu können.

Die klassischen Merkmale einer Agrargesellschaft waren/sind:

  • Menschen in Gruppen von mehreren Dutzend bis nach oben hin offen
  • Steile Hierarchien: Jede Bevölkerungsschicht hat Aufgaben, die andere nicht oder nur unzureichend ausführen können (Bauern, Beamte, Anführer_innen). Nur wenige Menschen könnten im Notfall alleine in der Wildnis überleben.
  • Kinder und Alte werden von der jeweiligen Bevölkerungsgruppe versorgt, aus der sie stammen

Die Form der heutigen Mehrheitsgesellschaften folgt immer noch diesem Prinzip. Einige wesentliche Änderungen, z. B. eine allgemeine Kranken- und Pensionsversicherung wurden flächendeckend erst im 20. Jahrhundert eingeführt.

Was allerdings nur wenige über die Agrarrevolution wissen: Sie führte zu einer extremen Veränderung in der Auslebung der menschlichen Sexualität: In einer Jäger- und Sammlerkultur gehörten die Ressourcen, die zum Überleben unbedingt nötig waren, allen gemeinsam und wurden nach dem Tod eines Gruppenmitglieds an die gesamte Gruppe zurückvererbt. In einer Agrargesellschaft hingegen war durch die gewachsene Gruppengröße mit den Ressourcen vor zehntausend Jahren keine gerechte Verteilung auf alle Mitglieder der Gruppe mehr möglich. Daher veränderte sich das Verteilungssystem. Zum Überleben notwendiger Besitz wurde nun innerhalb der kleinsten Einheit der Gruppe, der Familie, weitervererbt.

Wer kriagt in Hoaf?

Der Besitz wurde vom Vater auf die Kinder patrilinear weitervererbt. Ein Hof konnte auch einer Frau und einem Mann gleichzeitig gehören, die sich die Führungsposition als Paar gleichrangig teilten.

In einer Jäger- und Sammlerkultur war es ein zu vernachlässigendes Kriterium, wer der biologische Vater der entstandenen Kinder war. In einer Agrargesellschaft war es auf einmal zentral, von welchem Vater die entstandenen Kinder stammten, damit diese ihr Erbe in Empfang nehmen konnten.

Der Preis dafür war allerdings die totale Repression der weiblichen Sexualität: Denn in einer Zeit ohne verlässliche Verhütungs- oder Abtreibungsmethoden und Vaterschaftstests gab es nur eine einzige Möglichkeit, die Vaterschaft eindeutig festzustellen: Die biologische Mutter des Kindes hat nur mit dem biologischen Vater des Kindes Sex.

Ursprünglich ersetzte das Konzept des Vererbens innerhalb einer Familie die alte Überlebensstrategie des Auf-alle-Aufteilens. Wiederholt sich dieser Vererbungskreislauf jedoch oft genug, hat der Besitz ein Ausmaß erreicht, das über das Ziel „Überleben“ weit hinausschießt.

So können sich Dynastien mit besonders viel Besitztümern und Geld und damit auch automatisch Macht und Einfluss herausbilden. Diese Eliten haben natürlich kein Interesse daran, ihren Status wieder zu verlieren. Dazu muss sichergestellt werden, dass der Besitz innerhalb der Familie verbleibt und diese Familie zusammenhält. Dann wird das Kriterium, von welchem Vater die entstandenen Kinder stammen, noch wichtiger. Denn jetzt geht es nicht mehr nur ums Überleben, sondern um blanken Machterhalt.

Nun muss nicht nur die Ebene Lust der Frauen innerhalb der herrschenden Elite, sondern auch die der konkurrierenden oder unteren gesellschaftlichen Schichten kontrolliert werden. Denn die Menschen der unteren Schichten müssen davon abgehalten werden, durch die gesunde Auslebung ihrer Sexualität gesellschaftliche Solidarität zu erreichen, mit der sie die herrschenden Eliten stürzen und den über Überleben hinausgehenden Besitz der Allgemeinheit zuführen könnten. Die Frauen der Eliten müssen die Unterdrückung ihrer Sexualität (zumindest nach außen) vorleben, damit Frauen aus den Bevölkerungsschichten, die den hohen Status der Eliten garantieren, auf keine „blöden Ideen“ kommen.

Dazu hat sich über die Jahrtausende ein perfides System entwickelt, das von den herrschenden Eliten über staatliche Einrichtungen, Propaganda, Gesetzgebung und Religion verbreitet wurde. Mittlerweile ist dieses System internalisiert und wird über die Erziehung von Generation zu Generation weitergegeben. Menschen, die diese Lügenkonstrukte nicht hinterfragen und beseitigen, beteiligen sich unbewusst am Machterhalt der jeweiligen Eliten und am Erhalt der eigenen Machtlosigkeit.

Eine Geschichte der Unterdrückung – Teil 2/2: Wie stellen es die Mächtigen der Welt an, gesunde Sexualität zu unterdrücken?

Wie bereits in Warum ziehen Frauen im Patriarchat die Arschkarte? erwähnt, war es für alle gesellschaftlichen Eliten zu allen Zeiten essentiell, dass der Besitz in der Familie oder Dynastie verbleibt. Dazu musste sichergestellt werden, dass die Erben auch tatsächlich dieser Familie oder Dynastie angehörten. Ohne sichere Verhütungsmittel, Abtreibungsmöglichkeiten oder Vaterschaftstests kann nur durch eine Maßnahme sichergestellt werden, dass die Kinder vom gewünschten Vater stammen: Eine Frau hat ausschließlich mit dem Mann, dessen Kinder sie produzieren soll, Sex.

Wie „erfolgreich“ diese Methode über die Jahrtausende war, ist daran ersichtlich, dass DNA-Tests von Ausschnitten der Weltbevölkerung ergeben haben, dass ca. jedes 10. Kind ein Kuckuckskind ist (!), daher nicht von dem biologischen Vater stammt, der ihm von der biologischen Mutter zugeordnet wird. Zwar gibt es heutzutage im 21. Jahrhundert sichere Verhütungsmittel, Abtreibungsmethoden und Vaterschaftstests. Damit wäre das Problem der Agrargesellschaften vor zehntausend Jahren gelöst: Kinder hätten auch bei Frauen mit einer gesunden Ebene Lust, die Sex mit mehr als einem Mann haben, einen eindeutig zuweisbaren Vater.

Da die alleinige Bedingung „Überleben“ allerdings seit einigen Jahrtausenden durch den Machterhalt einiger weniger herrschender Eliten ersetzt wurde, ist dieses Argument egal: Nun geht es nur mehr darum, die Sexualität der Bevölkerung durch diverse Strategien unterdrückt zu halten und damit effektiv gesellschaftliche Solidarität gegen diese Eliten zu verhindern.

Ungeschützter Hetero-Sex führt bekanntlich zu Schwangerschaften und, in Folge, zu biologisch eigenen Kindern. An dieser Stelle gibt es in den heutigen patriarchalen Mehrheitsgesellschaften (der eurozentrischen/westlichen, der muslimischen und der russischen/asiatischen Gesellschaft) ausgeklügelte Strategien, um Frauen am Ausleben ihrer natürlichen Sexualität mit mehr als einem Mann oder Menschen zu hindern.

Strategie 1: Praktische Einschränkung oder Verbot von Verhütungsmitteln oder Abtreibungsmöglichkeiten

Dadurch werden Frauen leichter ungeplant schwanger und müssen dies dann auch bleiben.

Strategie 2: Erhöhung der Mutterrolle von Frauen und gleichzeitige Abwertung und Diskriminierung von Frauen, die diesem Dogma nicht folgen.

Die französische Revolution 1789 forderte mit „liberté, egalité, fraternité“ auch die rechtliche Gleichstellung von Frauen. Als Gegenbewegung dazu entstand im 19. Jahrhundert die indirekte Unterdrückungsstrategie, die Mutterrolle einer Frau zu überhöhen. Diese sieht so aus: Bei kinderlosen Frauen sowie Frauen, die abtreiben oder ihr ausgetragenes Kind zur Adoption freigeben, versucht die gesamte Umgebung, diese an ihrem Vorhaben zu hindern und sie in eine Mutterrolle zu drängen. Frauen, die Mütter werden, oder bereits Mütter sind, sind ständigen Manipulationsversuchen ausgesetzt, die möglichst ausschließliche Bezugsperson für das Kind zu sein und alle anderen Aufgaben oder Lebensprojekte hintanzustellen.

Sex zum Spaß wird dadurch mit den folgenden Problemen verknüpft:

  • die Gefahr einer ungeplanten Schwangerschaft
  • die enorme Schwierigkeit, eine ungeplante Schwangerschaft zu beenden
  • die drohende moralische Keule der Umgebung bei Nicht-Erfüllung einer (idealen) Mutterschaft: Die betreffenden Menschen werden von der Mehrheit ausgegrenzt und erhalten weniger bis keine Unterstützung aus ihrer Gemeinschaft (Familie, Nachbarschaft, Arbeitgeber, öffentliche Einrichtungen).

Als Folge davon streben Frauen Sex zum Spaß aus Angst seltener an.

Nimmt die Frau die geforderte Mutterrolle mit einer Kindererziehung mit möglichst wenigen anderen Bezugspersonen an, frisst das große Zeit- und Energieressourcen, die die Möglichkeiten zur Auslebung der eigenen Sexualität genauso beschränken – eine Lose-Lose-Situation. Praktischerweise entstehen so kinderreiche Familien, in denen Kinder von klein auf diese verdrehte Sexualmoral vorgelebt bekommen. Diese Nachkommen sind dann noch leichter manipulierbar als die vorherige Generation, denn sie halten das System durch ihre zahlenmäßige Existenz und ihre Werthaltungen aufrecht. Dies entspricht dem Bild der kinderreichen katholischen oder muslimischen Familie.

Strategie 3: Einschränkung, Abwertung oder Verbot von sexuellen Praktiken, durch die keine Kinderproduktion möglich ist

Die Repression der Auslebung von Hetero-Sexualität bewirkt, dass das Erleben von genussreicher Sexualität auf andere Praktiken ausweicht, die keine Schwangerschaft bewirken können. So werden dann Oralsex, Handjobs und gleichgeschlechtlicher Verkehr – sofern die Beteiligten bisexuell sind – bei Frau und Mann mehrheitlich praktiziert. Saudi-Arabien, eines der repressivsten Länder bezüglich Sexualität, hat prozentuell zur Gesamtbevölkerung eine der höchsten Dunkelziffern an gleichgeschlechtlich lebenden Menschen.

Ein solches „Schlupfloch“ muss aus Sicht der Eliten natürlich geschlossen werden. Daraus entsteht eine Dynamik: Da Sexualität eine so große Kraft in Menschen ist, finden sich immer Mittel und Wege an den Verboten vorbei. Diese werden dann natürlich wieder eingeschränkt oder verboten, worauf sich neue Umwege finden, usw.

Auf die gesteigerte Beliebtheit von Oralsex, Handjobs und gleichgeschlechtlichem Sex gibt es gleich zwei Reaktionen der gesellschaftlichen Eliten:

Als erste Reaktion werden alle Praktiken außer Hetero-Sex, der Schwangerschaften bewirken kann, mit einer Moralkeule erschlagen, genau wie Frauen, die keine Mutterrolle erfüllen (wollen). Ein noch wirkungsvollerer Schritt ist die Verankerung dieser Moralkeule im Gesetz: Daher kommt die strafrechtliche Verfolgung von Homosexuellen in vielen Ländern. Interessant ist an dieser Stelle, dass die heutige massive Unterdrückung und Verfolgung von bi- und homoamoren Menschen gar nicht das eigentliche Ziel war, sondern ein Seitenzweig der ursprünglich nur an heteroamore, aber bisexuelle Menschen gerichteten Unterdrückung ist. Für ausschließlich homoamore und homosexuelle Menschen ergibt das Ausmaß dieser Unterdrückung nämlich gar keinen Sinn – sie machen einen viel zu kleinen Anteil der Gesamtbevölkerung aus, als dass sie eine ernsthafte Gefahr für das System darstellen würden.

Als zweite Reaktion gibt es in der Gesellschaft und an Schulen bewusst unzureichende Sexualaufklärung. Darin wird ein Bild gezeichnet, das vaginalen Hetero-Geschlechtsverkehr als „der richtige Sex“ erscheinen lässt. Praktiken wie Oralsex, Handjobs, gemeinsame Selbstbefriedigung oder gleichgeschlechtlicher Sex werden einfach weggelassen oder als „Petting“ neben vaginalem Geschlechtsverkehr als „minderwertig“ dargestellt.

Ein Schlupfloch für diese Strategie sind Pornofilme, in denen Menschen einfach alle Varianten ihrer Sexualität genießen.

Doch auch dieser Weg wurde bereits blockiert: Die meisten Pornofilme haben ein Drehbuch und die Teilnehmer_innen täuschen ihre Lust nur vor. Das ist Absicht, denn so können Oralsex, Handjobs, Selbstbefriedigung oder gleichgeschlechtlicher Sex unrealistisch und verfälscht gezeigt werden. Wenn genügend Menschen einen solchen Umgang mit Sexualität nicht hinterfragen, sondern sogar für die Norm halten, baut das einen Leistungsdruck auf, der unrealistischen Vorlage zu entsprechen. Das Ergebnis ist lustloser Sex, was bewirkt, dass reale Menschen enttäuscht sind und ihre Sexualität auf „was halt notwendig ist“ reduzieren.

Das Schlupfloch dafür sind privat und ohne Drehbuch gefilmte Amateur-Pornos, die einfach durchschnittliche Menschen zeigen, die ohne oder mit nur wenig Anleitung das miteinander genießen, was sie ohne Kamera auch gemacht hätten.

Strategie 4: Die Strategien von 1 bis 3 als religiöse Lehren verpacken

Weit verbreitete Religionen haben seit ihrer Entstehung immer wieder Begrenzungen für die Sexualität ihrer Anhänger_innen erlassen:

  • Sex ist nur mit einem Menschen und nur in der Ehe erlaubt
  • Verhütung und Abtreibung sind Sünde
  • Gleichgeschlechtlicher Sex ist „wider die Natur“
  • Selbstbefriedigung ist Sünde
  • usw.

Diese Prinzipien wurden vom Islam, dem frühen Christentum, der katholischen Kirche, der evangelischen Kirche, sowie diversen evangelikalen Freikirchen vertreten. Siehe dazu eine ironische Betrachtung der „katholischen Familienwerte“ der britischen Komikergruppe Monthy Python:

In der Gegenwart beinhalten und bestärken alle erwähnten Glaubensgemeinschaften einige dieser Werte immer noch! Der stärkste Vertreter ist im 21. Jahrhundert allerdings der Islam.